Kultur Eine Abrechnung mit der Globalisierung

Das Stück „Zeit der Kannibalen“ überzeugt mit einer gelungenen Gesellschaftskritik und spitzzüngigen Dialogen.

Kultur: Eine Abrechnung mit der Globalisierung
Foto: Matthias Stutte

Krefeld. Sie telefonieren und verhandeln in immergleichen Hotelzimmern: Die beiden Berater Öllers (Pauls Steinbach) und Niederländer (Ronny Tomiska) jetten um den Globus, um in Indien, China, Nigeria zu beraten — soll heißen: Unternehmen zu zerschlagen und damit richtig viel Geld für die Partner des Beratungsunternehmens zu scheffeln. „Zeit der Kannibalen“ ist eine schnelle und ironische Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus. Es geht nur noch um das Geldverdienen und die Karriere mit einigermaßen spätkolonialen Methoden. Das Stück feierte in der Fabrik Heeder erfolgreich Premiere.

Die Inszenierung von Bruno Winzen hat was von einer Screwball-Komödie mit flotten Auf- und Abgängen. Das Hotelzimmer eines internationalen Konzerns ist einmal Schlafzimmer, einmal Arbeitsraum. Mal mit Bett, mal mit Schreibtisch. Nur die Deko gibt einen ungefähren Hinweis auf das Land, in dem Öllers und Niederländer unterwegs sind. In Indien steht ein blauer Buddha auf dem Regal, in China sind es ein paar rosa Mandelblüten und in Nigeria lilafarbene Zwiebelgewächse. Das zeigt die Austauschbarkeit der Räume: Wer als Unternehmensberater unterwegs ist, hat keine Berührung mit dem Alltag des Gastlandes. Und es zeigt natürlich auch die Austauschbarkeit dieser beiden Männer. Niederländer, der Junggeselle, schleppt einen Stapel von Phobien mit sich herum: Als einmal ein Insekt in das sterile Hotel in Lagos den Weg in sein Zimmer geschafft hat, ist das für ihn wie ein Weltuntergang. Öllers ist Familienvater, erzählt seinem dreijährigen Sohn am Telefon unsägliche Gutenachtgeschichten, streitet ständig mit seiner Frau und schläft in jedem Hotel mit weiblichen Angestellten.

Beider Umgang mit Herrn Singh (Jonathan Hutter) wirft ein Schlaglicht auf westeuropäisches Verhalten — verbale Attacken, zynisch und in Fäkalsprache — versus Kastengesellschaft. Denn Herr Singh ohrfeigt seinen Untergebenen (Alexander Korjagin) — ganz einfach, Erniedrigung mit historischer Herleitung. Zu diesen beiden Anzugträgern gesellt sich dann Bianca März (Neuzugang Denise Matthey).

Sie bringt das emotionale Element mit in die Arbeit mit modernen Medien und will doch tatsächlich einen Ausflug in die Wirklichkeit vor den Türen des Hotels machen. Außerdem hat sie noch die Aufgabe, die beiden Männer zu beurteilen: Wer eignet sich besser als Partner im Unternehmen?

Bianca März outet sich als Grüne, lehnt Sexismus ab und endet doch mit einem vom Team im Bett. Sie ist allerdings schlau genug, sich nicht von den Chefheuschrecken einnehmen zu lassen. Beim Showdown werden die drei in ihrer kondensierten Parallelwelt vom der terroristischen Wirklichkeit eingeholt: Da bleibt dann dem Zuschauer das Lachen im Halse stecken, wenn in Lagos die Bomben explodieren.

„Zeit der Kannibalen“ ist eine Abrechnung mit der Globalisierung. Das Stück wird hier mit viel Liebe zum Detail (Bühne und Kostüme: Udo Hesse), passender Musik, gutem Video inszeniert.

Ein lohnenswerter, gesellschaftskritischer Theaterabend, bei dem man sich wegen der spitzzüngigen Dialoge und dem überzeugenden Spiel auch amüsieren kann.

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