Ein Tanz auf der roten Linie

Move: In „Aurora’s Redlines“ überzeugen die Protagonisten auf der Bühne der Fabrik Heeder durch enorme Körperbeherrschung.

Ein Tanz auf der roten Linie
Foto: G. Krämmer

Ungewöhnlich. Eine solche Beurteilung für eine Tanzaufführung ist in der Tat alles andere ungewöhnlich. Auf der Heeder-Bühne, vor allem in der Reihe „Move!“, sind immer wieder Compagnien zu Gast, die den zeitgenössischen Tanz in außergewöhnlichen, spannenden und innovativen Choreographien vorführen. Das ist nie langweilig, nie eindeutig zu decodieren und oft verstörend. So erwartet es das Krefelder Publikum, das jahrelange Erfahrung mitbringt.

Was im Untertitel als „Tanzstück für die Alarmgesellschaft“ auf den Tanzboden kommt, ist kein Tanz im herkömmlichen Sinn. „Aurora’s Redlines“ heißt das Stück, die Tanzwerke Vanek Preuß aus der Brotfabrik Bühne Bonn haben es inszeniert. Karel Vanek ist der Regisseur, macht den Sound und gehört mit Guido Preuß und Tobias Weikamp zu dem Trio auf der Bühne, das zusammen auch die Choreographie verantwortet.

Die drei Männer befinden sich schon am hinteren Bühnenrand, als das Publikum den Saal betritt. Das Licht bescheint schummrig rot den Boden und die Rückwand, dröhnend wummert die Musik. Aurora ist die Göttin der Morgenröte, als solche hat sie den Tänzern, die in schwarze Slips gekleidet sind, offenbar rote Linien vorgegeben.

Zuerst liegen die Männer wie Embryos da, dann auf den Schulterblättern, recken die Beine in die Höhe, schwenken sie und bewegen sich dabei ganz langsam. Sie verdrehen ihre Körper, Arme und Beine scheinen nicht zum Rumpf zu gehören. Wie amorphe Wesen hoppeln und hüpfen sie über die Fläche. Sie rutschen in der Hocke, recken und winden sich. Dazu maritime Geräusche, Gluckern und Poltern oder ein Brummen, das den Raum erzittern lässt. Der Zuschauer beobachtet ein Repertoire an komplizierten Körperverdrehungen, in einer Zeit, die sich zu dehnen scheint.

Die Körperbeherrschung und der Kraftaufwand, um die Stellungen auszuführen und zu halten, sind offenbar enorm. Oft sind die Männer in synchronen Formationen beschäftigt, aber sie sind auch in Einzelaktionen auf der Fläche verteilt. Dabei scheinen sie sich zu quälen, sie versuchen sich kurzzeitig aufzurichten. Sie gehen auf Händen und Füßen, wie primatenähnliche viergliedrige Wesen. Nur aufrichten können sie sich nicht.

Die „tänzerischen“ Abläufe bleiben auf den Boden gerichtet, dessen Anziehung unüberwindbar scheint. Das rote Licht der Morgenröte gibt keine Hoffnung, ist eher eine rote Linie. Der Kampf dagegen wird nicht aufgegeben, es ist der Kampf des Menschen um den aufrechten Gang und gegen die Widerstände, die das Menschsein den Menschen abverlangt. Aufrecht und gestreckt auf beiden Füßen zu stehen, so kann der Mensch aus der Fauna herausragen. Das schaffen die drei Protagonisten am Ende auch, nur kurz stehen sie aufgereckt dem Publikum zugewandt, bevor sie die Bühne verlassen. Der Beifall ist außerordentlich, darin schwingt auch die Bewunderung für die artistische Körperbeherrschung mit, die während der 55 Minuten erkennbar ist. Ungewöhnlich, diese Performance, gewöhnliche tänzerische Formationen sind nicht im Angebot für die „Alarmgesellschaft.“ Die nächste Aufführung in der Reihe „Move!“ ist am Freitag, 3. November, 20 Uhr, Fabrik Heeder, Bühne 1, Tchekpo Dance Company, Bielefeld, „Caresse du vent“.

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