Kultur Ein Opernabend, der unter die Haut geht

Am Samstag hatte Leo Janaceks Oper „Katja Kabanowa“ Premiere. Vor allem Izabela Matula überzeugt in der Hauptrolle.

Kultur: Ein Opernabend, der unter die Haut geht
Foto: Matthias Stutte

Krefeld. Wenn aus dem Orchestergraben die ersten Töne erklingen, leuchten auf dem noch dunklen Vorhang Schriftzüge auf: „Wovon wir träumen, ist Teil der Realität, in der wir leben“. Dieses Motto bildet den eindringlichen Auftakt zu Leo Janáceks Oper „Katja Kabanowa“, die jetzt als packendes Seelendrama im Krefelder Theater zu erleben war.

Als „russische Madame Bovary“ beschreibt der Dichter Max Brod die Titelfigur und stellt sie damit in die Reihe der berühmten Ehebrecherinnen der Weltliteratur. Doch anders als die französische Romanheldin scheitert Katja nicht allein an den äußeren Bedingungen, sondern an ihren inneren Konflikten. Weniger als zwei Stunden dauert dieses Drama, das ohne Pause durchgespielt wird.

Regisseurin Helen Malkowsky zeichnet den Weg in die Katastrophe mit großer Sensibilität und starken emotionalen Bildern eindrucksvoll nach. Gemeinsam mit Kathrin-Susann Brose (Bühne) und Alexandra Tivig (Kostüme) ist ihr eine Interpretation gelungen, die ohne falsche Sentimentalität auskommt, sich aber auch vor Emotionen nicht scheut.

Das Dorf an der Wolga, in dem Katja lebt, ist von Erstarrung und Trostlosigkeit gekennzeichnet. Zwei Häuser sind angedeutet, in denen vor allem die Frauen wie Gefangene erscheinen. Hoch aufragende Schilder und einige Bruchstücke aus Holz weisen auf ein gescheitertes Bauprojekt einer neuen Brücke hin. In einer stummen Szene zu Beginn wird der Bauleiter von den Dorfbewohnern verjagt. Das Neue wird abgelehnt. Gleich bei ihrem ersten Auftritt betrachtet Katja sehnsüchtig das Bauschild. Die darauf projezierten Wasserbilder weisen auf die Wolga hin, in der Katja am Ende den Tod finden wird.

Von diesem ersten Auftritt an strahlt Izabela Matula in der Titelrolle eine besondere Aura aus, die sie als Außenseiterin kennzeichnet. Mit ihren langen roten Haaren und einem hellen, mädchenhaften Kleid verkörpert sie zunächst noch eine stolze Frau, die sich der Herrschsucht ihrer Schwiegermutter Kabanicha nur widerwillig unterordnet. Im Lauf des Abends fächert sie eindrucksvoll alle Facetten dieses Charakters auf. Ihrer Freundin Barbara gegenüber erzählt sie von ihrer Kindheit und ihren Sehnsüchten nach Liebe. Barbara, die ein heimliches Verhältnis mit Kudrjasch hat, zeigt auch Katja eine Möglichkeit, sich mit Boris zu treffen. Nach schweren inneren Konflikten wirft sie sich ihm in die Arme.

Vor dem entscheidenden Schritt sitzt sie hinter der schützenden Wand ihres Hauses. Als sie es verlässt, ist es der Anfang vom Ende. Denn die Liebesnacht bildet den Wendepunkt des Dramas. Katjas Schuldgefühle führen zu einem emotionalen Verfall und sie steuert mit großer selbst-zerstörerischer Kraft ihrem Untergang entgegen. In einem insgesamt fließenden Rhythmus wird diese Entwicklung in der Inszenierung überaus packend sichtbar gemacht. Verschiebungen im Bühnenbild führen zu einer immer größeren Auflösung der Realität.

Sehr intensiv agiert der Chor in der Rolle der Dorfgemeinschaft, die über Katja ihr Urteil fällen. Die Engstirnigkeit und die Doppelmoral dieser Menschen werden schonungslos gezeigt. So kommen in der Liebesnacht auch Katjas Schwiegermutter und Boris’ Onkel als Paar zusammen. Satik Tumyan und Hayk Dèinyan kosten die Verlogenheit und Bösartigkeit ihrer Rollen intensiv aus. Eine besondere Rolle spielt in der Inszenierung Kuligin, eigentlich eine Nebenfigur. Als überwiegend stumme Figur agiert er nicht ganz eindeutig als Beobachter und Verehrer Katjas, aber auch als ein zweites Ich, der sie bis in den Tod begleitet. Andrew Nolen macht daraus eine feine Charakterstudie.

Der Abend wird insgesamt von einem glänzend agierenden Ensemble getragen. Dreh-und Angelpunkt ist Izabela Matula, die mit ihrem füllig und warm klingenden Sopran alle stimmlichen Anforderungen brillant meistert und darstellerisch zutiefst berührt. In Gesang und Darstellung überzeugen auch Eva Maria Günschmann (Barbara) und Markus Heinrich (Kudrjasch). Sie bilden das Gegenpaar, dem die Flucht aus dem Dorf gelingt.

Darstellerisch etwas blass aber gesanglich makellos gestaltet Michael Siemon den Boris, Kairschan Scholdybajew zeigt eindringlich die Schwäche und spätere Verzweiflung von Katjas Ehemann. Die Musik Janáceks, die sich aus volkstümlichen Einflüssen, großer Rhythmik aber auch sehr lyrischen Passagen zusammensetzt, spiegelt das Seelendrama in großer Intensität wider. In der Interpretation der Niederrheinischen Sinfoniker unter ihrem Generalmusikdirektor Mihkel Kütson klingt das sehr ausgefeilt, transparent und mitreißend. Ein Opernabend, der unter die Haut geht und vom Publikum begeistert gefeiert wurde.

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