Die WZ als Proben-Gast: Gefangen im Horrorhaus

Die Musik von Philip Glass schafft schon bei den Proben zum „Haus Usher“ schaurige Stimmung.

Krefeld. Die Treppen auf der Bühne führen ins Nichts, hinter den Türen herrscht dunkles Nirgendwo. Das Horrorhaus der Geschwister Usher hat nichts Heimeliges an sich: William, der bei seinem Jugendfreund Roderick Usher zu Gast ist, umklammert einen alten Teddybären wie eine tröstende Erinnerung an die Kindheit. Was hier unübersehbar durch das Theater auf Zeit (TaZ) spukt, ist der Geist von Edgar Allen Poe.

Philip Glass, einer der großen Komponisten unserer Zeit, der neben Sinfonien und Opern die Musik für Filme wie "Kundun" oder "Truman Show" schrieb, hat Poes Schauermär vom "Untergang des Hauses Usher" 1987 in eine Oper verwandelt. Seit drei Wochen probt Regisseur Christian Tombeil für die Premiere am 9. Mai - und befasst sich dabei vor allem mit jenen Urängsten, die gruseliger sind als jedes Blutbad. "Im ersten Alien-Film taucht das Monster kaum auf", sagt Tombeil. "Dennoch kann ich den bis heute nicht alleine gucken - danach mache ich kein Auge zu."

Auch Glass kommt in seiner Oper ohne sabbernde Ungeheuer aus, er spielt mit den inneren Biestern, die jeder Zuschauer aus seinen Albträumen kennt. William, gespielt vom Tenor Michael Kupfer, wälzt sich im Halbschlaf unruhig auf dem Boden hin und her, er sieht Roderick (Johannes Preißinger) mit dessen Schwester Madeline (Isabelle Razawi). Zwischen den Geschwistern ist etwas Undefinierbares, etwas, das nicht sein darf. "Nein! Halt! Es ist schrecklich", singt Kupfer zutiefst aufgewühlt. "Ja, sehr schön, Michael", lobt Tombeil.

Als Regisseur verzichtet der stellvertretende Intendant des Theaters auf Tobsuchtsanfälle. "Schauspieler bewusst hart ran zu nehmen, halte ich für Quatsch", sagt Tombeil. "Ich schaffe lieber eine Atmosphäre, in der man etwas ausprobieren kann." Dem sonst eher strahlenden Heroen Kupfer entlockt er damit ganz neue Facetten. "Ich sehe bei ihm Mut zur Hässlichkeit, eine ungewohnte Zerbrechlichkeit."

Auch Isabelle Razawi traut sich schon in der Probe, große Emotionalität in ihre Rolle zu legen. Text lernen muss die Sopranistin nicht, denn Madeline hat ihre Sprache verloren - Razawi singt die gesamte Rolle in Variationen des Buchstabens "A". "Das ist so ziemlich die Höchststrafe", findet Tombeil, und auch Razawi selbst sieht darin eine große Herausforderung: "Es ist schwer, die verschiedenen Farben der Figur ohne Worte zu gestalten."

Keiner leichten Aufgabe stellen sich auch die 13 Musiker unter Leitung von Kenneth Duryea. Das Schlagwort von der primitiven "Minimal Music", das oft mit Philip Glass verbunden wird, mag der Dirigent nicht mehr hören. "Es wiederholen sich immer die gleichen Motive", sagt Duryea. "Doch gerade dadurch muss es besonders sauber und präzise klingen. Man darf nicht mit dem Rhythmus wackeln und muss genau auf die Lautstärke achten." Gelingt dies, klingt Glass wie Musik gewordene Hypnose.

Wie oft bei Tombeil werden Tänzer die Themen der Oper mit ihrem Körper transportieren. Silvia Behnke ist als erotische Muse zu sehen, Antal Dobsa verkörpert die allgegenwärtige Angst, er schwebt wie ein Greif über dem verängstigten William. "Er ist so etwas wie die dunkle Seite der Macht", erklärt Tombeil.

Schon bei den Proben wird der Schauder erahnbar, der sich einstellt, wenn die Figuren wie Phantome über die bizarre Bühne spuken. Auch den Zuschauerraum will Tombeil nutzen. Wie, verrät er noch nicht. "Mal sehen, wie viele Herzinfarkte wir im Publikum haben", sagt der Regisseur. Seine Schauspieler entlässt er für heute aus dem Horrorhaus: "Für zwei Uhr habe ich ein Taxi bestellt." William, Roderick und Madeline dürften ihren Albträumen nicht so leicht entkommen.

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