Dicke Kerle auf Sinnsuche

Franziska Gramss hat für die Studiobühne des Stadttheaters Jelineks „Wolken. Heim.“ eingerichtet.

Krefeld. Am Anfang wird viel gekichert im Publikum. An den Anblick muss sich auch erst einmal gewöhnen. Regisseurin Franziska Gramss hat ihre Akteure in sogenannte Fatsuits gesteckt, die aus den sonst eher schlanken und vor allem auch jungen Schauspielern Adrian Linke, Ronny Tomiska und Christopher Wintgens unglaublich beleibte und undefinierbar alte Männer machen. Die drei bilden den Chor, der Elfriede Jelineks „Wolken. Heim.“ zum komisch-furchtbaren Vortrag bringt. Premiere war jetzt in der Fabrik Heeder.

Joachim Henschke sitzt am Rand, auch er in einem Fatsuit, und spielt über ein Keyboard Samples ein. Zudem spricht er die Titel der einzelnen „Gesänge“. Tiefes Blech, Gitarre und wohl auch Zither bestimmen die Musik (Malte Giesen), einen Volksmusikbrei.

Die Heeder-Säulen, mit Holztäfelung und stilechten Wandlampen dekoriert, machen die Bühne zu einem Wirtshaussaal der 1950er Jahre (Ausstattung: Caspar Pichner). Die drei Choristen kann man darin als Eisbein-Helden der Wirtschaftswunderjahre verorten.

„Wolken. Heim“ ist ein frühes Stück der Nobelpreisträgerin Jelinek, uraufgeführt 1988 in Bonn. Die „Textfläche“ gibt keine Rollen vor, ist eine Anhäufung von Zitaten. Stellen aus Fichtes „Reden an die deutsche Nation“, Hegels „Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte“, Hölderlins „An die Deutschen“, Heideggers Rektoratsrede, ein wenig Kleist und Briefe der RAF hat die Jelinek zu einer monologischen Identitätssuche montiert.

Deren Subjekt ist ein „Wir“: „Wir wir wir! ...ein Urvolk, das Volk schlechtweg. Deutsche! Deutsche! Deutsche!“ Und dieses „Wir“ grenzt sich ab von den „anderen“: „Zuhaus sein, von dort die anderen sehen mit ihren stumpfen Stirnen.“ Scheint die Suche des „Wir“ nach sich selbst auch endlos, so ist es sich doch sicher: „wir aber sind ... unter den Völkern das erste“.

Das Gründelnde, das Anmaßende, die Bereitschaft zum Verbrechen des deutschen Faschismus scheinen hier auf. Dass Regisseurin Gramss den Bezug nicht auch mit der Ausstattung herstellt, ist ein kluger Schachzug. Die Texte entfalten so nur langsam ihren unkomischen Kern, so wie die drei Darsteller erst langsam ihre Putzigkeit verlieren.

Wenn sie hüpfen und springen, Pirouetten im Kunstnebel drehen, wie hilflose Käfer am Boden liegen — immer neigt man dazu, das auch komisch zu finden. Dem steht die Unnachgiebigkeit der Sprache entgegen, dieses Drängen des „Wir“, das sich auch deshalb in die „Tiefe“ zeitloser Sinnsuche stürzt, um sich den Konsequenzen schrecklicher Taten nicht zu stellen. Da gruselt es einen doch bei der Frage: „Wann erscheinest Du ganz? Seele des Vaterlands?“

Viel Applaus für alle Beteiligten für diese intelligente Umsetzung eines schwierigen Theatertextes.

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