Der Singsang des Rheinlands

Ulla Hahn liest in der Krefelder Volkshochschule aus ihrem neuesten Roman.

Der Singsang des Rheinlands
Foto: Thomé

Krefeld. Ulla Hahn - Hilla Palm. Geboren im Sauerland, aufgewachsen in Monheim. Studium in Köln und seit vielen Jahren ein Leben in Hamburg: Die Schriftstellerin Ulla Hahn ist von der rheinischen Provinz in die hanseatische Metropole gelangt. Sie wurde 1946 geboren und trat in der literarischen Welt zunächst mit Gedichten hervor. „Herz über Kopf“ erschien 1981 und wurde zum Lyrik-Bestseller.

Studenten aus dem nachfolgendem Jahrzehnt - und natürlich nicht nur sie - lieben ihre Lyrik. Denn darin versteht sie es, Feminismus und Emotionen miteinander zu verbinden. Hoch geschätzt wurde sie auch von Marcel Reich-Ranicki, der damals das Literaturblatt der Frankfurter Allgemeinen Zeitung leitete.

Die Befreiung aus beengten Verhältnissen hat Ulla Hahn auch zum Thema ihrer Romantrilogie gemacht. Der erste Band „Das verborgene Wort“ (2001) wurde mittlerweile weit mehr als eine halbe Million Mal verkauft. Die zweite Fortsetzung „Aufbruch“ erschien 2009 und in diesem Jahr „Spiel der Zeit“.

In allen drei Romanen erzählt Ulla Hahn die Geschichte von Hildegard Palm, gennant Hilla. Von Beginn an deutlich: Die Grenzen zwischen der Ich-Erzählerin Hilla und der Autorin verwischen. Alle drei Romane sind geprägt von autobiographischen Erfahrungen der Ulla Hahn.

„Das verborgene Wort“ blickt auf die Kindheit eines Mädchens in der rheinischen Provinz. Das Kind Hilla sehnt sich nach der Welt der Bücher, aber in ihrem Zuhause gibt es für jede Minute, die dem geschriebenen Wort gewidmet wird, Schläge. Eine Großmutter voller Frömmigkeit aber scheinbar herzlos; eine Mutter, die den Ehemann die Kinder verprügeln lässt, und somit keine Schuld auf sich lädt; ein Vater, der der Ehefrau gehorcht und aus der Gewaltspirale nicht herauskommt; und ein Großvater, bei dem das kleine Mädchen Verständnis fühlt - das ist die Personnage des ersten Bandes. Hinzu treten der Pfarrer, der sehr geliebte Bruder und sämtliche Verwandtschaft im Dorf.

Unter großen Kämpfen gelingt es Hilla, aus der Enge dieses Hauses herauszukommen. Sie darf sogar die Realschule besuchen. Inhalt des zweiten Romans: Wie Hilla das Gymnasium besucht und die Aufnahme des Germanistikstudiums anstrebt.

An Ende von „Aufbruch“ steht die schreckliche Erfahrung eines Übergriffs von drei Männern auf das junge Mädchen. Die Autorin beschreibt es nicht, nennt das Erlebnis „Die Lichtung“ und schreibt sich selbst die Schuld zu. „Selberschuld“ nennt sie sich, kapselt sich ein; auch wieder am Anfang des dritten Teils.

In „Spiel der Zeit“ bezieht Hilla ein katholisches Studentenheim in Köln und nimmt das Studium der Germanistik auf. Es sind die 68er Jahre. Hilla geht demonstrieren, zuerst ohne Überzeugung. Hilla lernt die Mädchen im Wohnheim kennen und unterscheiden. Sie studiert eifrig und konzentriert sich auf die Sprachlehre. Und sie empfindet sogar Heimweh nach ihrem Zuhause, aus dem sie mit soviel Mühe ausgebrochen ist.

Beim Karneval verkleidet sie sich als unförmige Raupe und lernt einen ebenso unförmigen Käfer kennen — Beginn einer Liebe. Ulla Hahn erzählt fließend, legt ihren Figuren den rheinischen Singsang in den Mund. Sie lässt ihre Protagonistin aufs Feinste beobachten, und fügt auch Gedichte ein. Sie springt zwischen der Erzählerin und der Protagonistin Hilla hin und her: „Hilla wusste damals noch nicht, was ich weiß“, formuliert sie an einer Stelle.

Der Zeitenwechsel ist zugleich ein Perspektivenwechsel. In ihrer Selberlebensbeschreibung sammelt die Studentin Einzelheiten und reiht sie aneinander, während die Erzählerin in der Rückschau einen Sinnzusammenhang erstellt und damit den Wahrheiten der Biographie ihren Sinn verleiht.

Ulla Hahn liest im kommenden Semester in der Volkshochschule Krefeld aus ihrem neuen Roman.

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