Kunstmusik Der Frack passt noch

Krefeld · Das erste Konzert der Saison im Seidenweberhaus mit den Niederrheinischen Sinfonikern stand unter besonderen Vorzeichen.

 Konzertmeister an der Violine, Philipp Wenger, (von links) und Solobratscher Albert Hametoff spielten die Solopartien in Mozarts Sinfonia concertante. Am Pult der Niederrheinischen Sinfoniker im Seidenweberhaus Generalmusikdirektor Mihkel Kütson.

Konzertmeister an der Violine, Philipp Wenger, (von links) und Solobratscher Albert Hametoff spielten die Solopartien in Mozarts Sinfonia concertante. Am Pult der Niederrheinischen Sinfoniker im Seidenweberhaus Generalmusikdirektor Mihkel Kütson.

Foto: Jochmann, Dirk (dj)

Der Frack passt noch. Sonst gebührt es bei Konzertrezensionen weniger auf Äußerlichkeiten, als auf das musikalisch Innerliche zu achten – aber besondere Zeiten erfordern besondere Regeln. Und die immer noch andauernde Corona-Situation ist nun einmal eine besondere Zeit mit eben jenen besonderen Regeln.

Aber zurück zum Frack. Jenen erwähnte der Generalmusikdirektor des Theaters Krefeld und Mönchengladbach scherzhaft bei dem ersten Sinfoniekonzert der Saison, dem ersten im Seidenweberhaus seit Corona und dem ersten mit einem tüchtig vollwertig klassisch besetzten Orchester und durchaus beachtlichem, wenngleich reduziertem Publikum (knapp 300). Jene saßen mit Abstand in dem Sinfoniekonzert, das diesmal aufgrund von Corona ohne Pause stattfand.

Mozarts Sinfonia concertante machte den Auftakt

„Es ist fast sechs Monate her, dass wir uns hier gesehen haben“, sagte Kütson in einer spontan und etwas aufgeregt wirkenden, aber umso authentischeren und sympathischen Anmoderation und ergänzte eben jenen Ausspruch über seine Freude darüber, dass sein großer Gesellschaftsanzug trotz der widrigen bisweilen zu zusätzlichen Pfunden führenden Umstände noch sitzt. Und auch das Orchester, sein Orchester, die Niederrheinischen Sinfoniker, passen noch – um im Bild zu bleiben; wenngleich es auch anfangs ein leichtes Zubbeln oder Zupfen hier, ein Dehnen dort und ein Zurechtrücken wiederum an anderer Stelle brauchte.

Über jeden möglichen Zweifel erhaben war die spürbare und sichtbare Freude des Orchesters, endlich wieder für ihr Publikum spielen zu können. Das merkt man sogleich, wenn man den Blick in die Gesichter auf dem Podium richtet, wenn man erspäht, wie die Instrumentalisten hoch konzentriert zum Musizieren bereit fast auf der Kante ihres Stuhles sitzend in Hochspannung sind. Jene Hochspannung löste sich bei dem ersten Ton des ersten Werkes dieses Abends nur langsam auf.

Noch etwas herantastend wirkten die ersten Takte des mit schönem und weichem Ton gespielten Mozarts. Die Sinfonia concertante Es-Dur KV 364 beginnt mit einer fast wie erlösend wirkenden musikalischen Steigerung, einer Öffnung des ästhetischen Raumes, in dem schließlich die beiden Solisten eintreten. Hier der erste Konzertmeister der Niederrheinischen Sinfoniker, Philipp Wenger, und sein Kollege von den Violen, der Solobratscher Albert Hametoff, drückten die Klangsprache Mozarts mit viel Leidenschaft aus. Vielleicht hin und wieder verschluckte man die eine oder andere Silbe, um das auch schon seinerzeit von Nikolaus Harnoncourt bemühte Bild von der Klangrede zu nutzen – nicht ganz zufällig, zugegeben.

Denn es hieß durchaus empathisch seitens Kütson, man wolle sich mehr der historisch informierten Interpretation vor allem auch der Klassiker widmen. Und echte Wiener Klassiker standen mit Mozart und später auch noch Beethoven bei diesem Konzert auf dem Programm. Klangsinnlich spielen die Sinfoniker einen bisweilen ausgesprochen süßlichen, immer satten Ton. Aber mehr auf der – dieses Wort ist eigentlich nur mehr ein Gefühl als eine scharfe Definition – „konventionellen“ Seite der Medaille als auf der historisch informierten.

So entsteht ein genussvoller, an besonders guten Momenten zum mentalen Hineinlegen motivierender Klang. Das ist schön – was weniger zu der angestrebten Idee passen mag, ist die Tendenz, trotz einer gebührenden Dosierung der einem Orchesterklang zur Verfügung stehenden modernen Mittel, sich zu viel Romantisierung hinzugeben zu Lasten einer Elastizität und Leichtigkeit. Denn bei allen tiefgehenden, auch mal tot trüben Schatten, die sich auf die Mozart’sche Klangrede legen können, fordert seine Musik eine noch bewusstere Eleganz in der Phrasierung und Formung von Tönen, Pausen und Rhythmen.

Aber ein schöner Anfang, ein Prozess in der Interpretationspraxis des Sinfonieorchesters ist getan. Der fast kammermusikalische zweite Satz, der übrigens an den zweiten Satz aus der Violinsonate KV 377 in F erinnert, stach aber mit seiner unnachahmlichen Stimmung tief in das Herz der Zuhörer. Dank der einfühlsamen Soli.

Bei alledem spielten die Sinfoniker mit gut zu den Werken des Abends passender reduzierter Besetzung, einzeln und mit gehörig Abstand sitzend, wobei die Bläser durch Plexiglasscheiben abgetrennt waren. Durch die gestreute Sitzordnung wirkte das ohnehin recht große Podium des Seidenweberhauses bei weitem nicht leer, sondern gut gefüllt – aber das nur am Rande.

Zum Beethoven-Jahr spielten die Sinfoniker die „Pastorale“

Und dann kam Beethoven. Immerhin haben wir, trotz Corona und ausgefallenem Beethoven-Marathon, bei dem alle Sinfonien an einem Tag hätten erklingen sollen, Beethoven-Jahr – feiern den 250. Geburtstag des in Bonn geborenen Wahlwieners. Und das, was Kütson und sein Orchester bei diesem Auftakt zur Saison an Beethoven spielten, konnte sich sehen lassen. Die Pastorale, kein einfaches Werk, versehen mit repetitiven und heiklen, sensiblen Stellen, die Bogen und Präzision zugleich verlangen, fordert Interpreten zu gewichtigen Entscheidungen heraus. Beethovens 6. Sinfonie in F-Dur, die die Empfindungen während einer Landpartie eigentlich viel Illustrativer schildert, als es Beethoven eigentlich zugeben wollte, steckt voller entzückender Stellen, die man aber auch sehr leicht in den Sand setzen kann. Kütson lenkte die Sinfoniker – man merkte, das Stück sitzt – durch die Partitur mit Umsicht. Er ließ Steigerungen durch schöne Akzente lebendig werden. Er ließ niemals Stillstand aufkommen, um gerade das uhrwerkartige und zeitgleich folkloristische – immerhin schildert Beethoven Empfindungen, die auf dem Lande aufkommen – dieser Musik, miteinander gut durchkommen zu lassen.

Im zweiten Satz, der „Szene am Bach“, hätte man sich vielleicht etwas weniger Woge und mehr Plätschern gewünscht, gerade in den Anfangstakten. Der Bach war hier etwas zu sehr angeschwollen – aber das ist eigentlich Geschmackssache. Umso mehr Raffinesse ließ Kütson bei dem gerne zu dick und zu hastig genommenen Gewitter und Sturm aufkommen. Bravo für diese schöne Balance.

Und ein Loblied auf die Trompeter, die mit ihren Barocktrompeten, schließlich noch den belebt charaktervollen Klang beisteuerten, der dieser Interpretation dann einen „historisierenden“ Hauch verlieh. Übrigens: Alleine für das Umstimmen der feinen Instrumente, die einiges an Arbeit verlangt, verdienen sie separat erwähnt zu werden. Denn man kann Jonathan de Weerd und Ansgar Brinkmann nicht nur dafür bewundern, was sie mit den schwer zu spielenden Instrumenten zaubern, sondern mit welcher Geduld sie die Rohre tauschten, um das Instrument von C nach Es zu transponieren.

Für diesen seelenvollen Beethoven, von allen Musikern, gab es natürlich, wie den ganzen Abend über, herzlichsten Applaus und Jubel für das erste Konzert nach so langer Zeit. Und ja, der Frack passt noch, sowohl als Kleidungsstück als auch mental, bei allen. Immerhin sind besondere Zeiten.

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