Das zweite Leben eines Wandgemäldes

1957 hielt Fritz Huhnen das Krefelder Leben fest. Nun ist sein Bild wieder zugänglich.

Das zweite Leben eines Wandgemäldes
Foto: Andreas Bischof

Krefeld. Wenn ein Künstler ein Wandbild schafft, das 32 Quadratmeter umfasst, ist das monumental. Ein solches Werk müsste von vielen Menschen bestaunt werden. Doch im Fall eines riesigen Gemäldes im Verseidag-Gebäude an der Girmesgath war das nur zeitweise der Fall — in jenen Jahren, als die Alte Schlichterei noch Speisesaal für die Mitarbeiter war. Nach dessen Schließung verschwand auch das Bild aus dem öffentlichen Bewusstsein.

Das zweite Leben eines Wandgemäldes
Foto: privat

Heute ist das rund vier mal acht Meter große Gemälde von Fritz Huhnen künstlerischer Mittelpunkt der Internetagentur Aijko. Die hat im Frühjahr eine Hälfte des Mies-van—der-Rohe-Gebäudes bezogen. Geschäftsführerin Michaela Bonneck, Design-Absolventin der Hochschule-Niederrhein, hat Betrachtern eine Fünfziger-Jahre-Sitzecke vor dem Bild bereitgestellt.

„Das Bild stellt für unsere moderne Agentur in jeder Hinsicht einen gelungenen Kontrast dar“, betont sie. „Es ist ein Highlight, das viel Gesprächspotential bietet und in der Kombination mit der chicen Loft-Atmosphäre sicher weltweit einzigartig ist.“

Das Wandbild ist ein Kaleidoskop Krefelder Stadtgeschichte. Es war zum Zeitpunkt seines Entstehens im Jahr 1957 nicht nur ein kulturelles Ausrufezeichen im damaligen Speisesaal der Verseidag, sondern auch Ausdruck des Aufbruchs in bessere Zeiten nach Ende des Zweiten Weltkrieges.

Der Krefelder Künstler hat darin nicht nur den rauchenden Schornstein und die Shedhallen seines Auftraggebers verewigt, sondern auch sich selbst als Karnevalsprinz mit Lilo Lange im Jahr 1935. Ihr Motto lautete „Kri-ewel packt ut“. Die Proklamation fand im „Seidenfaden“ statt.

Das Bild aus dem Jahr 1957 zeichnet leicht abstrahiert und teilweise karikiert den Alltag der Stadt nach. Szenen der Wirtschaftswunderjahre, Menschen am Arbeitsplatz, Kneipenszenen, ein junges Liebespaar, die verschiedenen Kirchturmspitzen — hier hat der Maler-Schalk der Dionysiusspitze einen Wetterhahn aufgesetzt.

Auch die Türme von St. Josef tauchen auf, der Leierkastenmann, Kirmesszenen mit Riesen- und „Teufelsrad“ sowie der Achterbahn, ein Fußballspiel, Bauern, ein Schrebergarten-Paar, Studierende, Werkhallen, rauchende Schlote, ein Paar mit Kindern, Tanzende mit einer Drei-Mann-Kapelle mit Gitarre, Schlagzeug und Trompete und darüber zwei Menschen unter einem Sonnenschirm.

Aktiv bei der Erstellung des Wandgemäldes war auch der heute 85 Jahre alte Maler Klaus-Peter Noever. Der studierte von 1946 bis 1954 an der Werkkunstschule Krefeld bei Laurens Goossens. Er hat nach Anweisungen von Huhnen im Bild gearbeitet, berichtet Christoph Tölke, Restaurator und Vorsitzender des Vereins Kunst und Krefeld.

Tölke war mit dem Verein bis vor drei Jahren Mieter der Alten Schlichterei an der Girmesgath und kennt das Huhnen-Werk sehr gut. „Die Farben sind mit Binder- oder Leimfarbe direkt auf den frischen Kalkputz aufgetragen“, erzählt Tölke.

Zu seinem 70. Geburtstag wurde Fritz Huhnen 1965 mit dem Ehrenschild der Stadt Krefeld ausgezeichnet. Am 15. Dezember 1981 starb er im Willicher Krankenhaus im Alter von 86 Jahren. Er erhielt auf dem Hauptfriedhof ein Ehrengrab. 1985 richtete ihm das Kaiser-Wilhelm-Museum eine Gedenkausstellung aus.

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