Aus Leidenschaft zur Stadt der Liebe

Einige Werke von Professor Jochen Stücke gehören jetzt dem Musée Carnavalet. Sie bleiben für immer in Paris.

Krefeld. Unter dem Baldachin eines üppig dekorierten Himmelbettes sind drei Personen in ein lebhaftes Gespräch vertieft. Das Philosophenpaar Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir diskutiert mit dem französischen Revolutionär Georges Danton über die Mai-Unruhen von 1968.

Natürlich ist diese Begegnung über zweihundert Jahre hinweg nur eine Fiktion, festgehalten in einer reizvollen Tuschezeichnung von Jochen Stücke, Professor für Zeichnen und künstlerische Druckgrafik an der Hochschule Niederrhein. Das Rokoko-Bett existiert allerdings wirklich und befindet sich im Pariser Musée Carnavalet.

Als Stücke es dort 2008 zeichnete, konnte er noch nicht ahnen, dass das renommierte Museum — wie jetzt geschehen — sechzehn seiner Zeichnungen in seine ständige Sammlung aufnehmen würde.

Alle Blätter stammen aus dem „Pariser Album“, einem zwischen 2004 und 2008 entstandenen Sammelband von Zeichnungen und Grafiken, die der Professor seiner Lieblingsstadt gewidmet hat. „Es ist der Versuch, alles was ich mit Paris verbinde, zusammenzubringen“ sagt er dazu.

Seit seinem sechzehnten Lebensjahr besucht der heute 50-Jährige die französische Hauptstadt regelmäßig. Dort findet er stets eine Fülle von Inspirationen für seine künstlerische Arbeit. Seine Leidenschaft fürs Zeichnen verbindet er dabei mit einem großen Interesse für die französische Geschichte und Literatur.

„Anregungen kommen meist aus der Literatur“, beschreibt Jochen Stücke seine Vorgehensweise. So sind Texte von Molière, Proust oder Balzac der Auslöser für seine Spurensuche durch alte Stadtviertel, in denen er immer wieder interessante Bezüge entdeckt.

So hat er bei einem Gang durch die Rue de Richelieu festgestellt, dass hier nicht nur Molière, sondern Jahre später auch sein Kollege Diderot gelebt hat. „Nachbar Diderot grüßt Molière über die Straße und ein Jahrhundert hinweg“ hat Stücke seine in zarten Brauntönen lavierte Tuschezeichnung genannt.

Kritisch setzt er sich auch mit der vom modernen Tourismus überrannten Stadt auseinander. So hat er der Kathedrale Notre-Dame lange Beine verpasst, mit denen sie in einer zunehmend säkularisierten Welt auf der Suche nach einem neuen Standort ist. Ein weiteres Beispiel für Stückes vielseitige Zeichenkunst, die er virtuos beherrscht.

Dass sich so ein Können erst über einen längeren Zeitraum entwickelt, versucht er auch seinen Studenten zu vermitteln. „Heute gibt es den dogmatischen Druck zur Effizienz“, stellt er bedauernd fest. Doch für ein qualitativ hochwertiges Ergebnis sind für ihn Erfahrungen und Dauer eines Arbeitsprozesses ebenso wichtig.

Entscheidend für seine eigene künstlerische Entwicklung war ein dreimonatiger Arbeitsaufenthalt in Paris im Jahr 2008. Ein durch Zufall entstandener Kontakt führte ein Jahr später zu einer Ausstellung in der Pariser Galerie Prodromus, der er seither verbunden ist. Sowohl die französische Nationalbibliothek, die inzwischen sieben Arbeiten ankaufte, als auch das Musée Carnavalet wurden so auf den Krefelder Professor aufmerksam.

Stückes in bestem Sinne traditionelle Zeichenkunst, die inhaltlich mit geistreichen Querverbindungen aus der französischen Kulturgeschichte gefüllt ist, trifft nicht nur in Frankreich den Geschmack des Publikums. Auch in Deutschland hat es bereits zahlreiche Ausstellungen mit seinen Werken gegeben. Trotzdem bleibt Stücke Frankreich verbunden, denn das Thema Paris lässt ihn nicht los.

Im Sommer erscheint der zweite Band des Pariser Albums, und für 2014 plant das Wuppertaler Von-der-Heydt-Museum eine Ausstellung mit hundert Arbeiten von ihm.

Einige Leihgaben kommen dann aus Paris — aus der Sammlung des Musée Carnavalet, in der sie laut französischem Gesetz für immer verbleiben.

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