Interview „Meisterbetriebe geraten seltener in die Insolvenz“

Krefeld · Interview Wenn Handwerker ins Haus kommen, erwarten Kunden Experten, die ihr Fach von der Pike auf gelernt haben. „Ein verbreiteter Irrtum“, sagt Kreishandwerksmeister Rolf Meurer.

 Rolf Meurer ist der Kreishandwerksmeister, also der oberste Handwerker der Kreishandwerkerschaft Niederrhein, zu der Krefeld, der Kreis Neuss und der Kreis Viersen gehören.

Rolf Meurer ist der Kreishandwerksmeister, also der oberste Handwerker der Kreishandwerkerschaft Niederrhein, zu der Krefeld, der Kreis Neuss und der Kreis Viersen gehören.

Foto: ja/Rolf Meurer

Existenzgründungen erleichtern und Arbeitsplätze schaffen – das war 2004 das Ziel einer Gesetzesänderung durch die Bundesregierung. Die Zahl der Handwerke, in denen sich nur Meister selbstständig machen konnten, wurde vor 15 Jahren deutlich reduziert. 15 Jahre später wird das Rad, zumindest in Teilen, zurückgedreht. In zwölf Handwerksberufen ist nun der Meistertitel wieder die Voraussetzung für die Selbstständigkeit.

Herr Meurer, was war Ihre spontane Reaktion, als Sie von der Entscheidung der Bundesregierung erfahren haben?

Rolf Meurer: Ich bin sehr glücklich. Es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wenn auch eine späte Erkenntnis. Aber besser spät als nie, sagt man ja. Allerdings muss ich sagen, es ist noch nicht genug. 2004 sind fast 50 Berufe aus der Meisterpflicht herausgefallen. Wir träumen davon, dass alle 50 wieder in die Meisterpflicht zurückgeführt werden.

Was sagen Sie zur Auswahl der zwölf Berufe? Ist diese sinnvoll vorgenommen worden?

Meurer: Also da sind zum Glück viele dabei wie Fliesenleger oder Estrichleger, bei denen es einen Wildwuchs gegeben hat, der fast unerträglich war. Die Zahl der Fliesenlegerbetriebe als Beispiel ist sehr stark angestiegen. Im gleichen Zeitraum sind die Ausbildungszahlen in dem Bereich extrem zurückgegangen. Der damalige Minister für Wirtschaft und Arbeit, Wolfgang Clement, hat einen gedanklichen Fehler gemacht hat. Er war davon ausgegangen, dass sich nur Menschen selbstständig machen, die das auch von der Pike auf gelernt haben, also in der Regel Gesellen. Aber tatsächlich waren es häufig Menschen, die gar keine Qualifikation in dem Beruf erworben haben.

Wie meinen Sie das?

Meurer: Egal, was Sie gelernt haben, Sie könnten sich in die Handwerksrolle eintragen lassen und zum Beispiel Fliesenlegerfachbetrieb nennen. Ich nehme nicht an, dass Sie das gelernt haben. Über die Qualität der Arbeit, die Sie dann erbringen würden, brauchen wir also nicht zu sprechen. Die Qualität auf dem Markt ist durch den Wegfall der Meisterpflicht in bestimmten Berufen ein Problem geworden. Wenn ich mit Bausachverständigen spreche, dann schlagen sie die Hände über dem Kopf zusammen. Sie sind voll ausgelastet mit Fällen, in denen die Qualität nicht ordentlich war.

Was halten Sie von der Auswahl der Berufe, für die die Meisterpflicht wieder gelten soll? Neun der zwölf sind Gewerke aus dem Baubereich.

Meurer: Der Wunschzettel ist noch nicht abgearbeitet. Sukzessive hätten wir gerne alle zurück. Aber gerade die Berufe aus dem Baugewerbe sind ganz wichtig. Es sind andere Gewerke dabei, da könnte man darüber streiten. Wie zum Beispiel der Orgelbauer. Andererseits sind Orgeln heute vollgestopft mit Technik, da reden wir auch schnell über den Aspekt der Gefahrengeneigtheit. Weil es Gefahrenpotenzial gibt, sind zum Beispiel die Gewerke Elektroinstallation und Sanitär, Heizung, Klima damals nicht aus der Meisterpflicht herausgenommen worden.

Was Ihren Wunschzettel angeht: Was wären die nächsten Berufe, bei denen Sie sich die Rückkehr der Meisterpflicht wünschen?

Meurer: Natürlich muss man mit den Verbänden darüber sprechen. Manche haben sich damit abgefunden, sich darauf eingestellt und müssten nun wieder umstrukturieren. Aber ich würde sagen: idealerweise alle, die schon mal in der Meisterpflicht waren. Allein schon wegen der Themen Wettbewerbsverzerrung und Ausbildung.

Durch was wird der Wettbewerb aus Ihrer Sicht verzerrt?

Meurer: Wer sich als One-Man-Show ohne Aus- und Weiterbildung im jeweiligen Gewerk in die Handwerksrolle eintragen lässt, hat einfach nicht die Kosten eines meistergeführten Betriebes – mit Garantie, Gewährleistung, Arbeitssicherheit, Dokumentationspflichten und vielem mehr. Durch die nicht qualifizierten Ein-Mann-Selbstständigen haben sich die Preise in den vergangenen Jahren nach unten orientiert. Für den Verbraucher mag das auf den ersten Blick preiswerter sein. Aber man kann Äpfel nicht mit Birnen vergleichen. Da kann sich jemand mit 20 oder 30 Gewerken in die Handwerksrolle eintragen. Wenn er das auf seiner Visitenkarte stehen hat, muss doch schon klar sein, dass er sich disqualifziert. Das kann er nicht alles gelernt haben. Geiz mag für manche geil sein, aber ich spüre in Kundengesprächen, dass sich das ändert. Das Qualitätsbewusstsein ist gestiegen. Viele Kunden sind durchaus bereit, etwas mehr zu investieren, um dafür eine hohe handwerkliche Qualität verbunden mit entsprechenden Garantien zu erhalten. Viele wissen auch gar nicht, dass nicht jeder Handwerker Meister oder Geselle ist oder überhaupt eine Lehre gemacht hat.

Sie sprachen das Thema Ausbildung an. Welche Bedeutung hat es Ihrer Meinung nach im Zusammenhang mit den aktuellen Entwicklungen?

Meurer: In den Handwerksberufen mit Meisterpflicht haben wir keine Probleme. Seit der Entscheidung 2004 ist jedoch die Ausbildungsleistung in den anderen Gewerken dramatisch zurückgegangen. Aber das war ja auch zu erwarten: Wie will man jemandem etwas beibringen und Wissen weitergeben, wenn man es selbst nicht richtig gelernt hat.

Die Selbstständigen ohne Meistertitel, die bereits in der Handwerksrolle eingetragen sind, haben Bestandsschutz. Wie beurteilen Sie das?

Meurer: Das bedeutet, dass sie nicht in Kürze vom Markt verschwinden werden. Aber wenn jemand aus wirtschaftlichen oder Altersgründen aufhört, wird sich das nach und nach rauswachsen. Danach haben wir wieder geordnete Verhältnisse. Mit hohen Qualitätsstandards und Gewährleistung und nicht mehr das Rumprutschen auf Low Level. Ein weiterer Aspekt ist, dass Meisterbetriebe deutlich seltener in Insolvenz geraten. Das hat sicher damit zu tun, dass Betriebsführung einer der elementaren Bestandteile der Meisterausbildung ist.

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