Artenvielfalt „Geraubte“ Wegraine zurückgewinnen

Krefeld · Brisantes Thema im Umweltausschuss: Statt mehrere Meter neben Äckern stehen zu lassen, pflügen Landwirte oftmals die Erde unter und zerstören Naturraum.

 So wie hier am Rohrammerdyk reicht der Acker bis zur Straße, der Randstreifen fehlt.

So wie hier am Rohrammerdyk reicht der Acker bis zur Straße, der Randstreifen fehlt.

Foto: Bischof/Andreas Bischof

Die biologische Vielfalt nimmt weltweit und auch in Deutschland stark ab. Viel Bebachtung hat die Studie des Entomologischen Vereins Krefeld 2017 gefunden, die einen Rückgang bei der Insektenpopulation in den vergangenen 27 Jahren um knapp 80 Prozent nachgewiesen hat. Und es sind nicht nur Insekten, auch heimische Pflanzen- und Tierarten, die in ihrem Bestand ernsthaft gefährdet sind und immer mehr von der Erde verschwinden. Eine Entwicklung, gegen die die Vereinten Nationen weltweit mit der UN-Dekade Biologische Vielfalt ankämpfen. Auch das Bundesumweltministerium (BMU) und das Bundesamt für Naturschutz (BfN) unterstützen tatkräftig die Ziele. Im Umweltausschuss am Dienstag haben fraktionsübergreifend SPD, CDU und Grüne Anträge zur Förderung von Maßnahmen zur biologischen Vielfalt gestellt. Das brisanteste Thema dabei haben die Grünen angepackt: den Raub der Wegraine vorwiegend durch die Landwirtschaft.

Blühende Randstreifen sind fast überall verschwunden

„Angeschoben worden ist das Thema durch einen Hülser Bürger und einen erfolgreichen Vorstoß der Grünen in Viersen“, sagt Annelie Wulff, umweltpolitische Sprecherin der Grünen. In Viersen wurde im vergangenen März ein Antrag der Grünen einstimmig angenommen, mit dem Ziel, widerrechtlich beanspruchte Flächen auf 45 Hektar im dortigen Stadtgebiet zurückzugewinnen. „Es besteht aus rechtlicher, wirtschaftlicher aber vor allem ökologischer Sicht ein dringender Handlungsbedarf“, erklärt Wulff. Die Stadt Krefeld sollte da nicht zurückstehen.

Auch in Krefeld ist das ein Problem, das lange verdrängt worden ist. „Zum Idealbild unserer Äcker und Wiesen geprägten Kulturlandschaft gehören bunte Wiesenblumen, Schmetterlinge, Hummeln, Bienen nd unsere heimischen Singvögel“, betont Thomas Delschen, Präsident des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW. Doch die sind fast verschwunden. Sein Amt hat einen Praxis-Leitfaden „Blühende Vielfalt am Wegesrand“ herausgegeben, der für das Thema sensibilisiert. Der Nabu Grefrath hat ein Konzept „Unser grünes Grefrath“ einige Gründe aufgezählt, weshalb wir Insekten brauchen: „Nur eine artenreiche Natur ist widerstandsfähig (Resilienz), die Insekten dienen der Nahrungsmittelproduktion (Bestäubung), selber sind die wichtiger Teil der Nahrungskette (Ökosystem), sie dienen dem Abbau von totem Material in der Natur (Nährstofffluss) und machen unsere Erde fruchtbar (Böden).“

Die Stadt Krefeld besitzt viele Anlieger- und Feldwege im Außenbereich. dieser Besitz ist Allgemeingut. Die zu den Wegen gehörenden Flurstücke sind meist etwa acht bis zehn Meter breit, während der befestigte Weg etwa drei bis vier Meter misst. „Liegen diese Wege entlang von landwirtschaftlich genutzten Ackerflächen, lässt sich leider oft feststellen, dass die Wegraine widerrechtlich vom Eigentümer beziehungsweise Pächter des Ackerflurstücks genutzt werden. Teils bis auf wenige Zentimeter bis an den befestigten Weg werden sie umgepflügt und landwirtschaftlich genutzt. „Infolgedessen werden auch Dünger und Pestizide auf die Wegraine aufgebracht, damit ist dort kein Leben möglich“, so Wulff. Als Beispiel nennt sie ein Flurstück am Rohrammerdyk in Hüls. Eins für viele.

Welche ökologische Bedeutung den Wegrainen zukommt, erklärt sie in ihrem Antrag an den Umweltausschuss. Sie stellen in naturnahem Zustand Biotopverbundlinien für Flora und Fauna dar. „Hier leben zahlreiche Tier- und Pflanzenarten, sie dienen zahllosen Insekten, Kleintieren, Vögeln und mehr als Lebensraum und als Verbindungsweg zwischen den immer geringer werdenden vorhandenen Biotopen.“ Gerade vor dem Hintergrund des Klimawandels und des Artensterbens ist das zu betrachten, da diese kilometerlangen Wegraine eine viel größere positive Auswirkung auf Flora und Fauna haben als vereinzelte Blühstreifen auf Äckern.

Hoffnung für die zusehends verlandenen Nieperkuhlen

Ein Kommunalkonzept zur biologischen Vielfalt wünscht sich die CDU für Krefeld. Laut Verwaltung sei das nicht erforderlich, weil auf Basis des Landschaftsplans Konzepte und Detailplanungen zur Förderung der Vielfalt des Lebens (in einem WortBiodiversität) entwickelt wurden, die nun umgesetzt werden können. Aufgrund knapper Personalresourcen sollten die aktuellen Naturschutzmaßnahmen fortgesetzt werden. Das sind die Installation von vier Insektenhotels in den Naturschutzgebieten, Anlage von Wildblumenwiesenflächen, ein Blühstreifen- und Ackerrandstreifenprogramm in Zusammenarbeit mit der Landwirtschaft sowie die Umsetzung der Genehmigungsplanung „Ökologischer Gewässerentwicklungsraum Sankertgraben 22“ mit Einmündung in den Niepkuhlenzug. Die Wasserführung und naturnahe Entwicklung des 21 Kilometer langen Gewässersystems soll dadurch verbessert werden. Auch arbeitet die Stadt weiter daran, in Oppum langfristig, verschiedene Biotope miteinander zu verbinden. Für viele Vorhaben gibt es Zuschüsse von Land, Bund und der UN-Dekade.

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