HOLOCAUST Krefelder Kirchenglocken läuten zur Pogromnacht

Krefeld · Das hat es noch nie gegeben. Von christlichen Gotteshäusern schallt es 15 Minuten lang – 80 Jahre nach Zerstörung, Plünderung und Mord.

Jüdische Gemeindemitglieder auf dem Weg in die Krefelder Synagoge im Jahr 1910. Foto: Stadtarchiv

Jüdische Gemeindemitglieder auf dem Weg in die Krefelder Synagoge im Jahr 1910. Foto: Stadtarchiv

Foto: nein/Stadtarchiv Krefeld

15 Minuten lang werden am 9. November zeitgleich Glocken Krefelder Kirchen läuten. Zum ersten Mal erschallen sie beim Gedenken an die massenweise Zerstörung von Synagogen vor 80 Jahren in der Pogromnacht. Hunderte Menschen wurden in den Tagen vor und nach dem 9. November 1938 deutschlandweit ermordet oder in den Suizid getrieben – die folgende weitere gewalttätige Verfolgung der Juden sollte während des Holocaust Millionen Menschen das Leben kosten.

Die Idee für das Glockenläuten war vom Leiter der jüdischen Gemeinde Krefeld, Michael Gilad, an den Arbeitskreis christlicher Kirchen (ACK) in Krefeld herangetragen worden, der das einstimmig unterstützt. „Wir können nur dankbar und positiv sein, dass so eine Bitte uns erreicht hat“, sagt Pfarrer Manfred Bautz, bis zum Sommer Vorstandsmitglied des ACK. „Wir sollten dabei nicht so tun, als ob wir der jüdischen Gemeinde damit gnädigerweise entgegenkämen. Wir sind nicht in der Situation etwas zu gewähren oder nicht zu gewähren. Im Gegenteil: Durch die Anfrage der jüdischen Gemeinde sollten wir uns geehrt fühlen.“

Michael Gilad spricht von einer „sehr sehr engen Verbindung, die er heute zu allen Kirchen und Verbänden habe. Zu den Treffen des ACK sei er immer eingeladen, er sei „ein Teil davon auch wenn wir keine christliche Kirche sind“, sagt der Leiter der jüdischen Gemeinde. Er sieht die Aktion als „Zeichen aller, der ermordeten Menschen zu gedenken“. Die Glocken läuteten – „was sie am 9. November 1938 nicht getan haben“, ergänzt er.

Regionalpastoralrat: „Ein sehr wichtiges Anliegen“

Superintendente Burkhard Kamphausen hat bereits ein Schreiben an die evangelischen Gemeinden im Bereich Krefeld verschickt, in dem die Presbyterien gebeten wurden, darüber zu beraten. Und aus dem Büro der Regionaldekane ging ein entsprechender Brief an die katholischen Gemeinden in Krefeld. Der Regionalpastoralrat sei sich einig, hieß es darin, „dass es nicht zuletzt angesichts des wieder stärker auftretenden Antisemitismus um ein sehr wichtiges Anliegen handelt“, wie Regionalvikar Heiner Schmitz, Katholikenrats-Vorsitzender Hans-Joachim Hofer und Anita Michels vom Vorstand des regionalen Pastoralrats es ausdrückten.

So sieht es auch Pfarrer Manfred Bautz. Eine Minderheit habe vor 80 Jahren angesichts der Ereignisse den Mund aufgemacht und „etwas dagegen gesagt“. Und heutzutage sei „unter dem Zivilisationslack viel Braun“, sagt er, „man sieht die aktuellen Entwicklungen, und die AfD fällt ja auch nicht vom Himmel.“

Von der Krefelder Idee sind sogar Gemeinden bis in den Kreis Viersen begeistert. „So will die evangelische Kirchengemeinde in Grefrath aus Solidarität ebenfalls in das Geläute einstimmen“, berichtet Klaus-Norbert Kremers, Vorsitzender des ACK.

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