Kleinkunst Kabarettist statt Taxifahrer

Krefeld · Matthias Reuter begeistert mit lyrischen Texten, Liedern und virtuosem Klavierspiel.

 Matthias Reuter war mit seinem neuen Programm „Wenn ich groß bin, werd’ ich Kleinkünstler“ in der Kulturfabrik zu Gast. 

Matthias Reuter war mit seinem neuen Programm „Wenn ich groß bin, werd’ ich Kleinkünstler“ in der Kulturfabrik zu Gast. 

Foto: Jochmann, Dirk (dj)

Er ist anders als andere Kabarettisten. Weder stark politisch noch besserwisserisch. Ohne erhobenen Zeigefinger und ohne den Hang, die Rampensau zu geben. Fast schüchtern betritt der Musikkabarettist die kleine Bühne in der Kulturfabrik und erläutert zunächst einmal, warum ihm die große Bühne nicht so liegt. Schon als Kind beantwortete er die Frage, was er werden wolle, wenn er groß ist, mit der Gegenfrage: „Wie groß muss das denn genau sein?“ Humor ist letztlich eine Frage der Perspektive und von unten lacht es sich womöglich herzlicher als von oben herab. Also habe er beschlossen: „Wenn ich groß bin, werd‘ ich Kleinkünstler.“ So heißt auch sein nunmehr fünftes Kabarettprogramm.

Seine Themen sind die
Tragödien des Alltags

Die Alternative als akademisch gebildeter Taxifahrer sei für ihn ohnehin nicht in Frage gekommen, da er ein eher schlechter Autofahrer sei. Mit seinem Studium von Germanistik, Geschichte und Philosophie verfügt er in Branchenkreisen über das „Kleinkunst-Abitur“, was er bis heute zu seinem Vorteil und dem seines Publikums nutzt. Und wie es zu seinem Habitus passt — mit feinem, eher leisem, hintersinnigem und gerne auch mal schwarzem Humor. Laut wird er mitunter nur, wenn er in die Tasten greift und von Blues und Ballade abweicht.

Musikalisch steigt Reuter ins Programm mit dem ersten NRW-Bildungs-Blues ein. Schließlich belege NRW im bundesdeutschen Bildungsranking Platz 13 von 16. Auch er sei mit einem solchen NRW-Abitur gesegnet. Naturwissenschaften seien ihm ein Graus. Seine Bio- und Physikkenntnisse habe er aus der Sendung mit der Maus. Der sympathische Oberhausener mit dem etwas spröden Ruhrpott-Charme macht denn auch gebürtige Nordrheinwestfalen für die Bausünden bedeutender Großprojekte in Deutschland verantwortlich: für Stuttgart 21 (Pofalla), die Limburger Bischofsresidenz (Tebartz-van Elst) oder den Flughafen Berlin-Brandenburg (Chefs von Geschäftsführung und Aufsichtsrat). Zumindest bei Angela Merkel könne man sicher sein, dass sie kein NRW-Abitur habe.

Seine Themen sind weniger die aktuellen Aufreger der Zeit als die kleinen Tragödien des Alltags. Locker und unverkrampft greift er Dinge von der Straße auf und verarbeitet sie zu abstrusen Szenarien. Dass er reichlich Poetry-Slam-Erfahrung mitbringt, wird an den Texten des feinsinnigen Sprachkünstlers deutlich, denen durchaus eine gewisse Ironie zu eigen ist. So beschäftigt er sich in Liedern und Versen mit pazifistischen Hasen, die Waffen exportieren, mit enkeltricksenden Rentnern, die selbst die Betrüger sind, mit „Schrömmel-Schubladen“ und mit Liedern, die vor Gesang warnen.

In einem weiteren Song versetzt er sich in die Rolle von russischen Hackern und beschreibt deren Tun als Grund für alles Übel dieser Welt. Sie seien verantwortlich dafür, dass in Österreich ein Kind Kanzler wird. Putin sei nicht echt, sondern nur ein schlechter Schauspieler. „Oder glaubt Ihr etwa, Merkel ist echt?“, fragt er ins lachende Publikum.

Für die Demokratie greift er ausnahmsweise zur Gitarre. Ein Lied widmet er der Erziehung an Schulen. „Dann wissen die Schüler wenigstens, dass sie zuerst diskutieren müssen, bevor sie den Hausmeister verprügeln.“ Dann wird Reuter doch noch aktuell, macht einen politischen Schwenk zur AfD, stellt sich Beatrice von Storch in Burka vor und befindet zum Thema Hass: „Die Ursache von Hass ist Angst – vor Krieg, vor Nazis, vor allem.“

Gegen Ende findet der 42-Jährige wieder zur Bildung zurück. Mit der liege es im Argen, weshalb man in einer einzigartigen Rückholaktion Lehrer rekrutiere. „Der Schulleiter ist 86“, textet er, und fährt bei längst pensionierten Pädagogen fort: „Was macht der alte Mann da außerhalb der Geriatrie? Der ist die neue Nachwuchshoffnung für Bio und Chemie.“ Und zum Publikum: „Hoffentlich habe ich mir jetzt nicht einen Teil meiner Anhänger vergrault.“ Der Applaus spricht dagegen.

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