Kunst in Krefeld „Für die Krefelder ist es wie die Wiederentdeckung der Vergangenheit“

Krefeld · Am 27. Oktober geht der Schütte-Pavillon im Kaiserpark in den Winterschlaf. Im Gespräch gibt Christiane Lange einen sehr persönlichen Einblick in ihr engagiertes Handeln.

 Christiane Lange hat den Bau des Schütte-Pavillons initiiert.

Christiane Lange hat den Bau des Schütte-Pavillons initiiert.

Foto: Helga Meister

Sie haben im Bauhaus-Jubiläumsjahr nicht nur Kunst- und Architekturgeschichte revitalisiert, sondern einen Bogen von der großen Reformbewegung um 1900 zur Gegenwart geschlagen. Das Bauhaus ist für Sie glücklicherweise nicht nur etwas Nostalgisches, sondern führt auch zur Kunst der Gegenwart. Woher nehmen Sie diesen ungeheuren Elan?

Lange: Jeder Mensch hat Energie. Es ist nur die Frage, wie er sie nutzt. Es hat sich so ergeben, dass ich als Kunsthistorikerin in einem sehr interessanten Forschungsfeld gelandet bin. Niemand hatte bislang die zahlreichen Verbindungspunkte von Vertretern des Bauhauses zur Seidenindustrie und damit auch zur Stadt Krefeld, die eines ihrer Zentren war, als Ganzes betrachtet. Wir haben erstmals nach strukturellen Zusammenhängen gefragt. Trotz meiner Verbindung zu Hermann Lange bin ich zufällig in die Forschung zu Mies van der Rohe und zum Bauhaus gestoßen.

Lehren Sie? Haben Sie eine Professur?

Lange: Nein, ich bin selbstständig. Aus einem Flow von Ereignissen, die ich mit gesteuert habe, sind Projekte geworden, die ich mir vor 15 Jahren nicht vorgestellt hätte. Ich stieß zusammen mit anderen Kollegen auf sehr ergiebige Forschungsfelder.

Sie haben eine sprichwörtlich hinreißende Art, andere Menschen zum Mitmachen zu bewegen. Aber vielleicht übernehmen Industrielle in Krefeld überhaupt mehr Verantwortung als andernorts. Ich kam im Bismarckviertel am Oetker-Haus vorbei und las, dass der Textilfabrikant Rudolf Oetker mit der Firma Deuß & Oetker der Stadt sehr wohlgesonnen war. Vor ihm hatte ja schon Albert Oetker die Sammlung des Kempeners Konrad Kramer mit niederrheinischen Möbeln, Plastiken, Glasmalereien, Steinzeug, Gemälden und Waffen dem Kaiser-Wilhelm-Museum noch vor dessen Eröffnung geschenkt. Waren die Seidenbarone nicht nur technisch-merkantil orientiert, sondern hatten immer auch die Kunst im Sinn?

Lange: Das glaube ich schon, und das hat auch die Ausstellung im Kaiser-Wilhelm-Museum über das Reformkleid belegt: Die Seidenindustrie war viel künstlerischer orientiert als etwa die Stahlindustrie. Sie produzierte ja modische Stoffe für die Bevölkerung. Der Stadtwald und die Waldschänke gehen übrigens auf eine Stiftung Wilhelm Deuß zurück. Die Seidenfabrikanten waren seit dem 17. Jahrhundert aktiv und traten als Förderer der Kunst auf.

Wie arbeitete Ihr Urgroßvater Hermann Lange mit Künstlern? Er gilt ja als ein enthusiastischer und kenntnisreicher Kunstsammler? Wie kam es zum Kontakt mit der Szene aus Kunst, Design und Architektur?

Lange: Er trat um 1900 nach einer umfangreichen Ausbildung mit 26 oder 27 Jahren in die Firma seines Vaters Carl Lange ein. Als Friedrich Deneken um 1900 am städtischen Museum anfing, Künstler im Zuge der Reformbewegung nach Krefeld zu holen, damit sie mit dem lokalen Handwerk und der lokalen Industrie zusammenarbeiten, stieg er wie die Firma Deuß und Oetker ein. Es war der Versuch, Künstlermuster für die eigene Produktion zu benutzen. Kommerziell war es aber nicht von Erfolg gekrönt.

Heinz Mack hat nach dem Krieg als bettelarmer Gärtner im Haus Lange gejobbt. Er spricht von einem Bilderschlitz im Haus. Was war da los?

Lange: Man konnte in der großen Halle einen Schlitz öffnen und Bilder im Keller versenken, wo es anfangs ein Bilderdepot gab. Der Raum wurde jedoch Ende der 1930er-Jahre in einen Luftschutzkeller umgebaut.

Wie hat die Kunst den Zweiten Weltkrieg überstanden?

Lange: Sie wurde ausgelagert.

Die erste gute Tat der Familie Lange nach dem Krieg war es, Haus Lange der Stadt zu schenken. Eine großzügige Familie?

Lange: Wenn man ein großzügiges Erbe übernehmen darf, kann man auch etwas schenken. Ich will es nicht kleinreden, aber nicht jeder kann etwas schenken — weil er es gar nicht hat. Der spannendste Teil der Schenkung ist für mich die Auflage, die Ulrich Lange machte: Das Haus sollte ausschließlich für die Präsentation aktueller junger Kunst genutzt werden.

Nun zum Pavillon. Ich habe den Eindruck, er gehört einfach zu Krefeld. Er bleibt aber wohl nur für zwei Jahre im Kaiserpark?

Lange: Der Kaiserpark ist ja ein öffentlicher Platz. Wir haben die Duldung bis Ende 2020.

Wie wird der Pavillon angenommen?

Lange: Mancher Besucher findet das Gebäude komisch, seltsam, auch schön. Mancher muss sich erst darauf einlassen, dass diese Form für eine Bauhaus-Ausstellung gewählt wurde. Mancher lehnt es ab. Aber zum Glück gibt es auch viel Neugier. Neugier ist ja eine schönere Haltung als Ablehnung. Allein schon die Frage, was der Pavillon mit dem Bauhaus zu tun hat, ist ein guter Einstieg, denn er eröffnet die Frage, was man sich unter dem Bauhaus vorstellt.

Wie reagieren die Gäste auf die Ausstellung?

Lange: Positiv. Die Ausstellung gilt als sehr informativ. Die Krefelder haben natürlich eine andere Vorstellung als die Bauhaus-Forscher, die erstaunt sind über die Komplexität. Für die Krefelder ist es wie die Wiederentdeckung der lokalen Vergangenheit.

Identifizieren sie sich plötzlich mit dem Bauhaus?

Lange: Neulich sagte jemand aus meiner Generation, er hätte nie verstanden, warum die Eltern immer behaupteten, Krefeld sei eine reiche Stadt in Samt und Seide gewesen. Aber nach dem Besuch hätten sie den großen Zusammenhang gesehen und das überregionale Wirken verstanden. Sie können es jetzt anders zuordnen.

Was machen Sie 2020 mit dem Pavillon? Ist das Gebäude dann nur Bauhütte, oder planen Sie etwas?

Lange: Es wird im Sommer noch einmal eine Ausstellung geben. Und wenn wir es schaffen, wird es auch noch einen dokumentarischen Film geben. Mehr verrate ich nicht.

Danach ist Schluss? Oder hat die Stadt nachgefragt, ob sie das Nutzungsrecht für den Park verlängern soll?

Lange: Der Oberbürgermeister hat mich darauf angesprochen. Ich glaube, wenn wir sagen würden, wir könnten es länger machen, würden wir bei der Stadt auf offene Ohren stoßen. Aber wenn wir sagen, Ende 2020 ist Schluss, würde das genauso akzeptiert.

Ein Ankauf oder ein ständiger Standort wird nicht erwogen?

Lange: Nein, dann müsste man noch einmal reden. Aber das Temporäre hat seinen Reiz. Ich finde den Pavillon wunderschön. Der Raum ist phantastisch. Wenn die Nutzung begrenzt ist, genießt man ihn aber ganz anders. Er geht dann in einen Ort der Erinnerung über und bekommt nicht die Schwere, dass man ihn ständig hegen und pflegen muss.

Es war eine Superidee, auf Thomas Schütte zu kommen. Hatte der Künstler da schon seinen Pavillon an der Raketenstation eröffnet?

Lange: 2015 sprachen wir erstmals mit ihm darüber, noch auf der Baustelle in Neuss-Holzheim. Da war schon klar, dass wir es zusammen machen.

Wer hatte die Idee mit Schütte?

Lange: Das war mein Wunsch. Meine kuratorische Idee war ja, keinen Architekten oder Designer zu fragen, weil das Thema Bauhaus extrem klischeehaft belastet ist. Die bildende Kunst sollte den konstituierenden Rahmen schaffen, einen Ort zu schaffen, der aus einem künstlerischen Denken kommt. Dazu kam, dass die Kunst am Bauhaus ganz zentral war und dass auch unsere Seidenfabrikanten zentral von der Kunst beeinflusst waren. Sie waren alle Sammler und haben sich mit der Avantgarde auseinandergesetzt. Thomas Schütte hat eine lange Tradition an skulpturaler Architektur. Ich hatte mir vorgestellt, dass wir eines der Modelle auswählen und realisieren. Dass er eine eigene Form entwickelt, damit habe ich gar nicht gerechnet. Aber er war mein absoluter Favorit. Und wenn er abgesagt hätte, hätte ich lange nachdenken müssen, wen ich nun frage.

Sammeln Sie auch?

Lange: Wenn ich Zeit habe, verfolge ich die zeitgenössische Kunst sehr intensiv. Und manchmal erwerbe ich auch etwas. Über viele Jahre hatte ich kaum Zeit, aber dafür habe ich das Gebäude geschaffen. Nun kann ich mich dem Thema wieder mehr widmen.

Wie kamen Sie überhaupt zur Kunstgeschichte?

Lange: Aus meinem persönlichen Interesse an zeitgenössischer Kunst. Aber im Studium bin ich relativ schnell zur Industriekultur- und Designforschung gekommen. Ich habe an der Universität Bonn bei Tilmann Buddensieg studiert, dem großen Forscher zu Peter Behrens. Buddensieg begeisterte sich für kunstsinnige Unternehmer, die wie Behrens die Bau- und Ingenieurskunst, Industrie und Werbung von der Nutz- zur Kunstform veredelten. Das haben Sie wahrlich auch getan.

Info: Der Krefeld Pavillon von Thomas Schütte, Kaiserpark, Wilhelmshofallee/Kaiserstraße, ist nur noch an diesem Samstag und Sonntag von 12 bis 20 Uhr geöffnet.

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