Komasaufen ist nicht mehr so „in“

Die Zahl der Jugendlichen, die mit einer Alkoholvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert werden, ist rückläufig. Doch das Problem bleibt.

Komasaufen ist nicht mehr so „in“
Foto: Archivbild: Judith Michaelis

Krefeld. „Es gibt keinen Rausch ohne Risiko!“ Darüber sind sich Georg Spilles und Jörg Grothus einig. Beide arbeiten in der Suchtprävention. Spilles ist Sozialarbeiter bei der Caritas, Grothus bei der Kripo für den Jugendschutz zuständig. Auf unterschiedlichen Wegen und mit unterschiedlichen Methoden kämpfen sie gemeinsam gegen den Missbrauch von Drogen aller Art bei Jugendlichen, aber auch gegen falsches Verhalten von Eltern, Erziehern, Lehrern und Öffentlichkeit.

Bei dem sogenannten „Komasaufen“, das vor Karneval wieder in den Fokus gerät, legt Spilles den Finger in die Wunde: „Wir hatten in den Jahren 2010 bis 2012 einen Hochstand. Inzwischen sind die Zahlen rückläufig. Saufen bis zum Abwinken ist offenbar nicht mehr so in.“ Vielmehr sei der alltägliche Missbrauch, auch der, der Kindern und Jugendlichen vorgelebt werde, Kern des Problems. „Ach, Du trinkst nichts? Dann musst Du fahren!“ Erwachsene brauchen auch heute noch eine Begründung, wenn sie bei einer Feier keinen Alkohol trinken wollen. Das einfache „Nein!“ reicht vielfach nicht aus.

Spilles will gerade die Eltern aufrütteln: „Wir reden hier nicht über die 20-Jährigen, die sich einen schnellen Rausch antrinken. Die müssen selbst wissen, was sie tun.“ Aber bei den 14- bis 15-Jährigen dürften sich die Eltern nicht aus der Verantwortung stehlen. Sie sollten ihre ureigene Rolle wahrnehmen und die Verantwortung für die Erziehung nicht in die Schulen abschieben.

Grothus: „Es geht vor allem um eine klare Haltung.“ In der Pubertätsphase ihrer Kinder dürften die Eltern nicht in die Rolle des guten Kumpels schlüpfen, sondern müssten klare Grenzen setzen, die oft von den Jugendlichen sogar akzeptiert würden. Grothus: „Die Grenzen müssen auch gegen Widerstände beibehalten werden.“

Die Kritik der beiden Präventionsprofis richtet sich aber auch auf Erwachsene allgemein. Grothus: „Wer einen 14-Jährigen mit der Wodka-Flasche in der Hand sieht, sollte handeln und ihm die Flasche wegnehmen.“ In einem ruhigen Ton, nicht aggressiv. Doch die Realität sehe anders aus: „Wir schauen einfach viel zu oft weg.“

Dabei spielt Unwissenheit eine Rolle. Ein 15-Jähriger darf in der Öffentlichkeit keinen Alkohol trinken. Bier, Wein und Sekt sind erst ab einem Alter von 16 Jahren erlaubt, branntweinhaltige Getränke (pur oder gemixt) erst ab 18. Und die Verführung gerade bei Klassikern wie Wodka und trendigen Mixgetränken ist groß: „Die Marken sind stark an die Jugendkultur gebunden. Die Industrie macht das ganz schön clever“, sagt der Sozialarbeiter.

Ganz wichtig ist Spilles und Grothus, dass die Jugendlichen einen bewussten Umgang mit Alkohol lernen. Spilles: „Ein reines Verbot bringt nichts.“ Sie suchen nach einem griffigen Motto, mit dem sie auch in die Krefelder Schulen gehen können. Das Motto in Münster, „Voll ist out“, durfte nicht übernommen werden.

Dennoch wollen sie die Haltung „Passt aufeinander auf“ rüberbringen. Sie bauen dabei auf Jugendliche, die ihre Grenzen kennen und andere unterstützen können. Grothus: „Wir müssen die, die keinen Alkohol trinken, in der Wertschätzung erhöhen. Und gerade bei Minustemperaturen sollte niemand alleine nach Hause fahren. Der Betrunkene kann auch als Fußgänger schnell in einen Unfall verwickelt werden, oder stürzen und dann hilflos erfrieren.“ Im Notfall sollte immer noch jemand in der Lage sein, den Rettungswagen zu rufen.

Damit das funktioniert, sollten sich gerade in der Karnevalszeit Eltern nicht scheuen, mit ihren Kindern im Vorfeld von Feten und Feiern zu sprechen: „Wer kommt, wo wird gefeiert, wie lange dauert die Party, wie kommt ihr wieder nach Hause, muss das Abholen organisiert werden?“

Mit Gesprächen nicht vermieden werden kann ein Phänomen, das durch die sozialen Netzwerke aufgekommen ist: Das Posten von Bildern, die im alkoholisierten Zustand aufgenommen wurden. Dabei steht zunächst der Spaßfaktor im Vordergrund. Spilles: „Viele Jugendliche denken nicht darüber nach, welche Auswirkungen das haben kann. Alle wollen ,geliked’ werden.“ Dennoch tauchten im Netz immer wieder Bilder von Jugendlichen auf, bei denen das Adjektiv „unvorteilhaft“ eine leichte Untertreibung ist. Vielleicht setze auch hier ein Umdenken ein, denn, so Spilles, „mit eingenässter Hose möchte doch keiner gezeigt werden“.

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