Krefelder Architektur : Leben und Arbeiten im alten Logenhaus
Krefeld Der Architekt Klaus Reymann hat 1976 ein Stück Krefelder Architektur-Geschichte vor dem Abriss bewahrt. Ein Besuch in einem lebendigen Denkmal.
Die Harry-Potter-Bücher sollten erst 30 Jahre später veröffentlicht werden und das Internat Hogwarts hatte in der Fantasie von Joanne K. Rowling noch nicht Gestalt angenommen. Für den jungen Piet Reymann und seine beiden Geschwister hingegen erschloss sich mit der neuen, alten Villa seiner Eltern Klaus und Gabriele Reymann eine magische Welt. Auf der Suche nach einer neuen Bleibe hatte ihnen ein Makler das Haus eines Heilpraktikers an der Bismarckstraße 77 empfohlen, das 1895 im Stil des Historismus für einen wohlhabenden Kohlenhändler gebaut worden war. Über eine schmale, knarrende Holztreppe führte ihr Weg ins Obergeschoss. Sie betraten einen mit violetten Vorhängen verdunkelten Raum. Umringt von einer Anzahl im Kreis stehender Binsenstühle lag dort auf einem schwarzen Altar ein blanker, weißer Totenschädel und ein matt schimmerndes Schwert. Die Familie Reymann hatte unerwartet den Tempel der Freimaurerloge „Zu den drei Weltkugeln“ betreten und der damalige Hausbesitzer war der Logenmeister.
Alle wollten das Haus abreißen, nur die Reymanns nicht
Nicht nur Klaus Reymann und seine Frau waren von der Villa fasziniert, auch ihre Kinder. Schon früh hatte der Krefelder Architekt den Charme und die Möglichkeiten alter geschichtsträchtiger Bausubstanz erkannt. Im Gegensatz zu den anderen Interessenten wollte er das Gebäude nicht abreißen, sondern erhalten, trotz der zu erwartenden finanziellen und baulichen Herausforderungen. Schließlich sollte dort künftig Familien- und Berufsleben unter einem Dach möglich sein.
Diese Vision überzeugte den Hausverkäufer und Reymanns kriegten den Zuschlag. „Anderthalb Jahre lang haben meine Eltern das Haus umgebaut und ich habe mir durch handfeste Mitarbeit mein Taschengeld aufgebessert“, erzählt Piet Reymann, der 1994 in das Architekturbüro seines Vaters mit eingestiegen ist.
Im April 1978 zog die Familie an der Bismarckstraße ein. Der ehemalige Hauseingang wurde zum Erker für den neuen dahinter liegenden Wohnraum, die einstige große Halle samt pompöser Treppe verschwand und ging in den Grundrissen der neu gegliederten Wohnungen auf. Der heutige Eingang liegt in dem neuen Anbau, der die Villa seitlich bis zur deshalb angekauften Giebelwand des Nachbarhauses verlängert. Im ehemaligen Hofbereich ist das Architekturbüro entstanden, das seither noch zweimal weiter vergrößert worden ist. Im Erdgeschoss und in der ersten Etage sind zwei Mietwohnungen entstanden. Die zweite Etage und das Dachgeschoss sind zum Haus im Haus für die Familie Reymann geworden. Im alten Logenbereich haben die Kinder ihre Zimmer bekommen und dort, wo früher der Speicherbereich war, findet bis heute das Familienleben statt.
Antike Jugendstil-Bleifenster behutsam eingesetzt
Es ist der Kunstaffinität und Sammelleidenschaft von Klaus Reymann zu verdanken, dass die Eheleute behutsam die Bausubstanz und Ausstattung verändern und erweitern konnten. Sie ließen eigenständig das Haus unter Denkmalschutz stellen und setzten zusätzlich zu den zahlreichen kleinen Giebelfenstern ein großes Jugendstil-Fenster ein. Das hatte früher seinen Platz im Hotel Spießer Hof am Thuner See im Berner Oberland, wo die Familie häufig im Urlaub weilte. In Spieß hatte Reymann für 700 Franken damals außerdem eine Kiste mit 28 Bleiglas-Fenstern gekauft, die sich heute – um ein vielfaches im Wert gestiegen – im gesamten Haus wiederfinden.