Kilimandscharo: Blinder bezwingt den Gipfel

Mit 21 Jahren verlor Jörg von de Fenn sein Augenlicht. Mit Bergsteigen und Sport hat er Lebensfreude zurückgewonnen.

Krefeld. Natürlich könnte Jörg von de Fenn den ganzen Tag in seinem Wohnzimmer verbringen. Im Lehnstuhl sitzen, nach vorn und hinten wippen, und stundenlang darüber grübeln, weshalb das Schicksal ausgerechnet ihn so vehement getroffen hat.

Seine Bekannten hätten Verständnis dafür. Einem 39-jährigen blinden Mann kann man keinen Vorwurf machen, wenn er Trübsal bläst.

Aber Jörg von de Fenn sitzt nicht dauernd zu Hause, sondern treibt Sport, sooft es ihm die Zeit erlaubt. Joggen, Inline Skaten, Bergsteigen - diese Art der Medizin, sagt der gebürtige Krefelder, helfe ihm am Besten.

Unlängst erfüllte er sich einen lang gehegten Traum und kletterte, Seite an Seite mit einem befreundeten Bergsteiger, auf den fast 6000 Meter hohen Kili-mandscharo.

"Ich freue mich riesig, dass ich dieses Ziel, das ich mir gesteckt habe, auch erreichen konnte", jubelte von de Fenn, als er von seiner großen Tour wieder nach Hause kam. Vielleicht, so hofft er, kann er anderen behinderten Menschen mit dieser Aktion Mut machen.

Ein Blick zurück: 21 Jahre alt war Jörg von de Fenn, als von heute auf morgen nichts mehr so war wie zuvor. Durch eine Entzündung wurde sein Augenlicht mit einem Mal ausgeknipst, so wie man das für gewöhnlich mit der Lampe in einem Zimmer macht.

Für Jörg von de Fenn begann das Leben in der Dunkelheit. Und doch gibt es inzwischen wieder Lichtblicke, viel Spaß und spannende Herausforderungen für ihn. Zum Beispiel die Geschichte mit dem afrikanischen Kilimandscharo.

Ein Blinder auf dem Weg zu einem Berggipfel, der in 5895 Metern Höhe liegt. Selbstüberschätzung? Ein Abenteuer mit Selbstmordgarantie? "Nein, überhaupt nicht", antwortet Jörg von de Fenn auf solche Fragen. Er fühle sich auch ohne Augenlicht gut in Form.

Nach einem ersten misslungenen Versuch, diesen Gipfel zu erklimmen kam Jörg von de Fenn im zweiten Anlauf unlängst ans Ziel seiner Wünsche. Beim ersten Mal hatte das Wetter ihn ausgebremst. Er darf sich sicher sein: Dort oben waren noch nicht viele blinde Bergsteiger vor ihm.

In Machame ging es los, mit einer Gruppe von Bergsteigern und zwei Helfern, die Matten und Schlafsäcke der Teilnehmer trugen. Eng an seiner Seite und verbunden mit einem kurzen Seil, kletterte auch Dietmar Hail nach oben, ein Freund aus Memmingen.

"Wir sind ein eingespieltes Team", sagt von de Fenn. Am Gipfel angekommen, hatte die Gruppe um den blinden Bergsteiger nicht viel Zeit, um Fotos zu schießen und den Triumph zu genießen. Denn der Sauerstoffgehalt auf dieser Höhe ist zu gering, um es dort länger als ein paar Minuten auszuhalten. Kurz danach gab es jedoch die ersehnten Urkunden mit der Aufschrift: "Ich war ganz oben."

Ein Glücksmoment für jeden Bergsteiger, nicht nur für Jörg von de Fenn. Auf einem Berggipfel war der blinde Sportler im Übrigen schon öfter. Als er zum Beispiel den Großglockner zusammen mit einem Begleiter an der Seite bezwang - immerhin 3800 Meter hoch. Oder den Dachstein in Österreich (2995 Meter).

Wenn man dem Deutschen Meister im Marathon-Speedskating für Blinde und Sehbehinderte gegenüber sitzt und zuhört, wie er vom Leben in der Dunkelheit erzählt, hat man das Gefühl, dass da einer wieder in seiner Mitte angekommen ist. Er hat lange dazu gebraucht. Denn vor 18 Jahren war Jörg von de Fenn zunächst am Ende. Wie wenn er mit hoher Geschwindigkeit gegen eine Wand geknallt wäre.

"Ein Schicksalsschlag, an dem man verzweifeln kann", sagt er. Sein Leben änderte sich. Die Ausbildung zum Koch musste er abbrechen. Es begann jene Zeit, in der er sich viele blaue Flecken zuzog, weil er dauernd irgendwo gegen stieß.

Er musste die Punktschrift für Blinde und den Umgang mit einer Spezialschreibmaschine lernen. "Die ersten Jahre waren sehr schwierig", erinnert er sich. "Ich hätte meine Schreibmaschine am liebsten aus dem Fenster geschmissen." Er hat es nicht getan und arbeitete einige Jahre in einer Telefonzentrale. Zurzeit ist er ohne Arbeit.

Der gebürtige Krefelder lebt inzwischen im bayerischen Memmingen und ist auf der Suche nach einer neuen Stelle. Immerhin, sagt er, habe er ja den Sport. Als Blinder zu laufen oder zu skaten ist keine Selbstverständlichkeit. Der innere Schweinehund, den man überwinden muss, ist besonders hartnäckig.

Jörg von de Fenn hat diese Hürde vor Jahren übersprungen.

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