Analyse Kein Politiker muss seine Diäten erhöhen

Lohnsteigerung ist kein Automatismus. Abgeordnete sollten sich öffentlich erklären.

Analyse: Kein Politiker muss seine Diäten erhöhen
Foto: Jochmann, Dirk (dj)

Alle Krefelder Abgeordneten haben dafür gestimmt, dass sich ihre sogenannten Diäten zum 1. Juli erhöhen. Heißt: Sie haben sich selbst eine Gehaltserhöhung gegönnt. Vorweg: Die hysterische Stammtischdebatte, die reflexartig losgetreten wird, ist überflüssig. Im Parlament, wo die AfD selbst an ihrer Schnittchen-Affäre kaut, insbesondere. In der Zuckerberg-Parallelwelt von Facebook mit ihren abertausenden Digital-Schöffen sowieso. Nicht aber dort, wo kritische Bürger sachlich fragen: Mit welcher Berechtigung?

Die Krefelder Abgeordneten liefern darauf keine Antwort. Sie verstecken sich in ihrer Argumentation hinter einem Prozess. Dem Votum einer unabhängigen Kommission, die irgendwann mal entschieden hat, das Entgelt für Abgeordnete habe sich an den Gehältern von Bundesrichtern (Besoldungsgruppe R 6) zu orientieren und folge in seiner Entwicklung dem Nominallohnindex. Weiter heißt es: Der Nominallohnindex bilde die Veränderung der durchschnittlichen Bruttomonatsverdienste einschließlich der Sonderzahlungen im produzierenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich ab. Er beziehe sich auf die vollzeit-, teilzeit- und geringfügig beschäftigten Arbeitnehmer.

Alles klar?

Eben!

Selbst wenn der hart malochende Metallarbeiter, die Servicekraft beim Italiener oder der stetig kämpfende Selbstständige diese Fachtermini für sich erschließen und nachvollziehbar machen kann, die Orientierung an der allgemeinen Lohnentwicklung sogar gerecht findet: Was bedeutet diese Entscheidung der Krefelder Abgeordneten für die Anpassung ihrer Diäten denn jetzt genau? Das wissen sie selbst noch nicht, nur, dass sie dafür sind, und das ist zuwenig.

Fest steht: Der Index wird eine Lohnsteigerung bringen. Derzeit gibt’s für einen Mandatsträger 9541,74 Euro plus eine Kostenpauschale von 4318,38 Euro. Das ist für den Otto-Normal-Verdiener, der seit Monaten Berliner Machtkämpfe oder Nicht-Entscheidungen bestaunt, respektive sich angewidert abwendet, ein ziemliches Brett. In der letzten Legislaturperiode hatten sich so die Bezüge der Abgeordneten nahezu abseits der öffentlichen Wahrnehmung von 8667 auf eben jene 9542 Euro erhöht. Das sind fast 900 Euro mehr. Für diesen Betrag steht eine Friseurin, die ebenfalls zur Ermittlung des Nominallohnindex` herangezogen wird, in Vollzeit im Salon.

Und aus der Perspektive dieser Menschen, deren Löhne nicht durch eine unabhängige Kommission in den Rang eines Bundesrichters gehoben wurden, definiert sich Gerechtigkeit ganz anders.

Darum ist es erstens wichtig, im Volk eine sachliche Debatte über die Höhe von Abgeordnetenbezüge zu führen. Schließlich wurden die Mandatsträger vom Volk ins Amt gewählt. Und zweitens: Politik muss diese Debatte nicht nur aushalten — also Kopf unter Wasser und nach dem Sturm das Geld einstecken — sie muss sie offensiv führen.

Kein Politiker muss seine Diäten erhöhen, wenn ihm Überzeugung fehlt, dass er es verdient hat. Sie hatten die Wahl und haben sich entschieden. Das hatten die Kollegen in Österreich übrigens auch und sich eine Nullrunde verordnet.

Also, liebe Abgeordnete, warum müssen die Diäten steigen, bevor Politik in Berlin überhaupt begonnen hat?

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