Krefeld Flüchtlingshelferin fordert weniger Bürokratie

Für die engagierte Jenny Latz mahlen die Mühlen in den Ämtern zu langsam. Ein Erfahrungsbericht.

Krefeld: Flüchtlingshelferin fordert weniger Bürokratie
Foto: Andreas Bischof

Krefeld. „Man hat das Gefühl, dass jede Akte fünfmal angepackt wird“, sagt Jenny Latz. Die 60-Jährige nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn sie über die bürokratischen Blockaden spricht, mit denen sie sich seit Anfang des Jahres herumschlägt. Latz ist durch und durch Pragmatikerin. Ein Leitsatz, den sie im Gespräch immer wieder wiederholt: „Kommt mir nicht mit Problemen, sondern mit Lösungen.“ Umso mehr ärgert es die selbstständige Unternehmerin, wenn ihr Engagement für Flüchtlinge ausgebremst wird.

Latz entscheidet Ende 2015, einem jungen Mann aus dem Irak und seinem minderjährigen Bruder dabei zu helfen, in Krefeld Fuß zu fassen. Die Ziele: Wohnung, Asyl, Pässe und ein Praktikum für den Älteren, der gelernter Vermessungstechniker ist. „Ich bin davon ausgegangen, dass die beiden zu 99,9 Prozent Asyl bekommen und dass die Stadt ein Interesse daran hat, die Menschen möglichst schnell aus den Unterkünften herauszuholen und so Krefelder Neubürger zu bekommen, die Steuern zahlen“, sagt die 60-Jährige.

Sie ging davon aus, dass sie in den Ämtern „mit offenen Armen empfangen wird“, wenn sie dabei helfen will, das behördliche Prozedere voranzutreiben. Die Wohnungssuche hatte für Latz oberste Priorität. Doch schnell musste sie feststellen: „Nichts lief ohne Aussagen wie: Ja, grundsätzlich schon, aber . . .“

Latz übt dabei keine Generalkritik: „Die direkten Ansprechpartner in den Fachbereichen können meine pragmatische Denkweise nachvollziehen und bemühen sich um Lösungen. Sie müssen sich aber für jede Kleinigkeit bei ihren Vorgesetzten rückversichern“, ist Latz’ Erfahrung.

In Sachen Wohnungssuche hieß das, dass Latz lange nicht wusste, ob es eine Obergrenze für die Quadratmeterzahl gibt und wie die Kautionszahlung gehandhabt wird. Außerdem gab es lange Zeit Verzögerungen, weil nicht geklärt war, ob das Sozialamt oder das Jugendamt die Mietkosten für beide übernimmt. Oder ob die Mietzahlungen von beiden Ämtern übernommen werden. „Es hieß, beide haben Anspruch auf eine Wohnung, dürfen aber keine suchen“, erzählt Latz.

Anfang April steht fest, dass der ältere Iraker Asyl bekommt. Damit ist das Jobcenter zuständig. Manches ging leichter, weil Latz direkte Ansprechpartner über den Flüchtlingskoordinator und sein Team in Erfahrung bringen konnte.

Die Erkenntnis nach vier Monaten: „Für zwei Personen in einer Bedarfsgemeinschaft wird eine Kaltmiete bis zu 350 Euro übernommen, die Quadratmeterzahl ist unerheblich.“ Einen Integrationskurs konnte der junge Mann jedoch noch nicht beantragen. Er musste auf eine Registrierungsnummer vom Ausländeramt warten, das wiederum auf das Okay vom Bundesamt wartete.

Es scheine keinen Gesamtüberblick zu geben, sagt Latz. Sie vermisst einen Leitfaden, der die Vorgehensweisen nach dem Schema „Wenn A, dann B“ aufschlüsselt. „Ich wüsste nicht, wo ich die klaren Regeln nachlesen könnte, jeder Ehrenamtler muss sich alleine durchbeißen.“

Wie unkomplizierte Hilfe möglich sein kann, die nicht „an ein starres Regelwerk“ gebunden ist, erklärt Latz anhand von Sprachkursen, die sie in Zusammenarbeit mit anderen Helfern und dem Berufskolleg Vera Beckers organisiert hat. „Es gibt ein enormes Engagement. Ich bin noch nie so stolz auf meine Heimatstadt gewesen“, sagt Latz.

Das Engagement der 60-Jährigen beginnt Anfang 2015. Als feststeht, dass in das ehemalige Altenheim an der Westparkstraße Flüchtlinge einziehen, vernetzt sich Latz mit anderen Ehrenamtlichen im Stadtteil, um die Kurse auf die Beine zu stellen.

Ihre Erkenntnis nach den ersten Monaten: „Die meisten Flüchtlinge wollen unbedingt die deutsche Sprache lernen — und zwar sofort.“ Meist hätten die Menschen nach ihrer Flucht lange genug gewartet und seien „hochmotiviert“. „Manche sind zu jedem Sprachkurs gekommen, den wir angeboten haben, obwohl wir sie in einzelne Gruppen aufgeteilt hatten.“

Zweite Erkenntnis von Latz: Flüchtlingshilfe muss sich mit den Menschen entwickeln, ein starrer Fahrplan helfe wenig. „Man muss flexibel sein, weil Menschen immer ein unbekannter Faktor sind.“ Schnell stellte sich heraus, dass ein schulartiger Stundenplan nicht der Lebensrealität der geflüchteten Menschen entspricht.

So seien die Kurse nach dem Motto „Wer kommt, der kommt“ angeboten. Die Teilnehmer melden sich beispielsweise per Whatsapp bei einem der derzeit 14 Sprachlehrer ab, wenn sie verhindert sind. Die Sprachkurse sind ein Beispiel dafür, wie schnell, direkt und unkompliziert ehrenamtliche Hilfe ankommen kann. Es war Weihnachten, als Latz den Impuls verspürte, ihr Engagement persönlicher zu gestalten.

Ein gewöhnliches Weihnachtsfest mit ihrem Mann war Ende 2015, nach knapp einem Jahr Flüchtlingshilfe, nicht mehr vorstellbar. „Wir zwei mit einer großen Gans und da drüben sitzen die Flüchtlinge wie Hühner zusammengepfercht“ — das habe sie sich nicht vorstellen können, sagt sie. Dazu passt ein weiterer Leitspruch von Jenny Latz, den sie von ihrer Mutter mitbekommen habe: „Menschen zur Seite stehen, ohne selbst Profit davon zu haben.“

Sie lud die beiden Brüder zum gemeinsamen Abendessen ein. Trotzdem es damals den ersten „Kulturschock“ gegeben habe, weil ihre sorgfältig zubereitete Hühnersuppe nicht ganz so gut ankam, hat Latz fünf Monate später vieles erreicht, was sie ihren Schützlingen ermöglichen wollte.

Das i-Tüpfelchen: „Der Ältere wird der erste Flüchtling sein, der Dank des „FloT-Projekts“ (siehe Kasten) ein Praktikum bei der Stadt absolvieren kann“, sagt Latz mit leuchtenden Augen. Mit ihrer „Anpackmentalität“ hat die 60-Jährige dafür gesorgt, dass der Mann aus dem Irak ein Praktikum im Vermessungsamt machen kann.

Latz’ Einsatz für die Brüder hört damit lange nicht auf. Nach dem Praktikum steht der Integrationskurs an, sie ist weiter auf Wohnungssuche und will bei der Bewerbung um einen festen Job und die Organisation des Familiennachzugs helfen.

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