Reportage Eine Operation am offenen Knie

Unsere Redaktion hat in einem OP-Zentrum der Alexianer bei einer Transplantation von Knorpelsubstanz in ein Kniegelenk zusehen.

 Reporter am OP-Tisch: Operateurin Oberärztin Sandra Köhler (l. mit buntem Tuch) und ihr Team operieren im OP-Zentrum des Krankenhauses Maria-Hilf in St. Tönis eine Kollegin aus Krefeld, die dem Presse-Termin zugestimmt hat. Vor sechs Wochen waren ihr Knorpelzellen entnommen worden. 

Reporter am OP-Tisch: Operateurin Oberärztin Sandra Köhler (l. mit buntem Tuch) und ihr Team operieren im OP-Zentrum des Krankenhauses Maria-Hilf in St. Tönis eine Kollegin aus Krefeld, die dem Presse-Termin zugestimmt hat. Vor sechs Wochen waren ihr Knorpelzellen entnommen worden. 

Foto: Kurt Lübke

Unter uns gesagt: Bei aller „Tatort Münster“-Begeisterung, vager Schwarzwald-Klinik-Erinnerung und medizinischer Erfahrung durch manche Serien-Dosis muss ich gestehen: Die Aussicht darauf, in einem Operationssaal eine Armlänge und damit in bester Sichtweite von einem Tisch zu stehen, auf dem eine Patientin liegt, der das Knie geöffnet werden soll, um ihr Eigenknorpelsubstanz zu transplantieren, hat mir schon in der Umzieh-Schleuse die Knie weich werden lassen.

Aber, was soll ich sagen: Die Erfahrenheit und der Humor eines eingespielten Klinikteams sind ein gutes Beruhigungsmittel gegen Nervosität.

Jedenfalls habe ich nicht getrödelt, um das Outfit eines Redaktionstages gegen ein blaues OP-Hemd und eine Hose zu tauschen und in Clogs zu schlüpfen. Der schreibende Kollegen und die beiden Fotografen Kurt Lübke und Norbert Prümen, die ebenfalls zu diesem „Presse-schau-zu“-Termin ins Operationszentrum des Krankenhauses Maria-Hilf an der Hospitalstraße eingeladen sind, brauchen deutlich länger.

 „Das ist normal“, lacht Sandra Köhler. Sie ist Oberärztin der Klinik für Orthopädie. Und die Operateurin, wie sich nach kurzer „Du oder ich“-Absprache mit Chefarzt Dr. Peter Mann in der Kaffeeküche herausstellt. Rummel für mich. Routine für die beiden – seit zehn Jahren.

Tönisvorster Operateure zählen zu 70 Fachleuten bundesweit

Seit September 2014 führt Dr. Mann Knorpelzelltransplantationen durch. Zunächst nur in Krefeld. Seit einem halben Jahr auch in St. Tönis. „Wir haben hier bereits rund ein Dutzend Operationen dieser Art gemacht.“ Das sei ein hohes Pensum, so Köhler. Sie gehört mit Chefarzt Mann Deutschland-weit zu den etwa 70 Medizinern, die diese Eingriffe beherrschen.

Vor der OP eine kurze medizinische Vorbereitung mit Krankenakte: „Wir haben hier eine junge Patientin, Mitte 30, die Kampfsport betrieben hat. Es handelt sich um eine Kollegin aus Krefeld. Sie kam mit Kniegelenkbeschwerden zu uns“, erzählt Köhler. Diagnostiziert wurde ein „recht großer Knorpelschaden“. Durchmesser: rund vier Quadratzentimeter. Oha! Die Zahl löst Phantomschmerz aus.

Vor sechs Wochen wurden zwei Proben aus dem betroffenen Knie der Patientin entnommen und zur Codon AG nach Teltow bei Potsdam geschickt. Dort werden die eigenen Knorpelzellen „nach Geheimrezept“ im eigenen Blut gezüchtet. Dr. Mann: „Es werden Knorpel-Kügelchen gewonnen, die die Größe einer Stecknadel haben.“

Nachdem Teltow gemeldet hat, dass die Züchtung erfolgreich zu werden verspricht, ist in St. Tönis der OP-Termin angesetzt worden. Der gezüchtete Knorpel wurde gekühlt in einer Box per Flieger an den Niederrhein gebracht. Die Haltbarkeit der Fracht beträgt 48 Stunden.

Operiert wird, wenn die Patientin gesund ist. Und wenn die Leistung der Krankenkasse abgenickt und durch die Bezirksregierung Düsseldorf genehmigt worden ist. Denn: Die OP unterliegt dem Transplantations-Gesetz. Das Zertifikat für das Krankenhaus Maria Hilf in St. Tönis liegt seit August 2018 vor.

11.37 Uhr. Ruf aus dem OP: „Es ist angerichtet!“ Ein letzter Schluck Kaffee, ein kleines Stoßgebet, Kugelschreiber und Schreibblock fest in der Hand. Häubchen auf. Mundschutz an. Jetzt aber auch hinein in den hellen Operationsraum.

Schwester Maria und Dr. Benjamin Kubo assistieren Sandra Köhler, ein Anästhesist und eine Kollegin befinden sich in Höhe des Kopfs der Patientin. Ein Tuch verhindert, dass sie an ihrem Oberkörper entlang bis zum eigenen Knie schauen kann. Aber sie ist wach, verfolgt den Eingriff auf eigenen Wunsch hin auf einem kleinen Monitor. Vorher hat sie eine Rückenmarksnarkose bekommen.

Ein Schnitt und die Haut am Knie, das Köhler auf ihrem Oberschenkel gelagert hat, ist geöffnet. Das Loch, etwa ein Fünf-Mark-Stück groß, legt den Blick frei auf den hellen Knorpel. Blutig ist die Angelegenheit - im Gegensatz zu der vorher erfolgreich erledigten Hüftoperation – nicht. Eine Manschette am Oberschenkel hemmt den Blutfluss. Trotzdem denke ich: „Standhalten! Atmen. Konzentrieren. Mitschreiben.“ Geht doch!

„Grün ist für Sie tabu“, hat Schwester Maria uns Zuschauer instruiert. Bei aller Neugier und Aufgeregtheit heißt das: Abstand von Tüchern und Tabletts halten. Ein Monitor zeigt den Knorpelschaden in zehnfacher Vergrößerung. „Wie ein Schlagloch müssen Sie sich das vorstellen“, erklärt Köhler. Wird es nicht repariert, wird es immer größer.

Die meiste Zeit der 30-minütigen OP verbringt Köhler damit, den Schaden sauber herauszuarbeiten. Erst danach nimmt sie die Spritzen mit den aufgesetzten Kanülen in die Hand, in denen die Knorpelkügelchen wie Mini-Liebesperlen aufgereiht sind. „Schöne Kügelchen“, wird die Patientin gelobt. Und drei Kanülen – das ist eine beachtliche Menge. Sie liegt über dem gezüchteten Durchschnitt. Köhler trägt die Kügelchen behutsam auf, verteilt sie auf dem Knochen unter der Schadensfläche. „Alter und neuer Knorpel verbinden sich“, sagt Dr. Mann.

Das sei wie ein Gel, das langsam verlaufe, mit der Zeit immer fester werde und wieder wie ein Zuckerguss einer Torte als Vier-Millimeter-Belag den Knochen bedeckt. So, wie es sein soll.

In wenigen Minuten ist die Eigen-Züchtung platziert. Als Köhler und Kubo die Öffnung wieder zunähen, erklärt Dr. Mann, dass das Knie der Patientin nun „zwei Tage gestreckt bleiben muss“. Erst danach darf es etwas gestreckt und gebeugt werden. Das erste Aufstehen ist aber schon für den Abend geplant.

Belasten ist tabu. Erst nach sechs Wochen ist das Knie wieder alltagstauglich. Sport, vor allem Kontaktsport wie Handball, Fußball, Eishockey, sind für zwölf bis 18 Monate von ärztlicher Seite her untersagt. „Der Knorpel muss erst durchhärten“, sagt Dr. Mann. Seine Devise für den Beginn der Reha-Phase: „Viel bewegen. Wenig belasten.“

Die Ergebnisse der OP werden an das Deutsche Knorpelregister geliefert, das an die Uni Freiburg angegliedert ist. Dort wird wissenschaftliche Nachsorge betrieben. Ich nehme nach der erlebten OP einen Satz von Dr. Mann mit: „Ein intakter Meniskus ist das Allerwichtigste. Dann hat man gute Knie bis ins hohe Alter.“ Und denke: Standhalten!

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