Heimatverein „Die Heimat“ lüftet Geheimnis einer alten Wohnung

Stadttteile. · Der 90. Band des Jahrbuchs des Vereins für Heimatkunde ist gespickt mit Geschichten über Krefeld. Autoren sind unter anderem Sandra Franz und Christoph Dautermann.

 Eine komplette Wohnungseinrichtung wurde 2001 dem Museum Burg Linn geschenkt. Diesem Schatz widmet sich Christoph Dautermann vom Museum in seinem Text in der „Heimat“.

Eine komplette Wohnungseinrichtung wurde 2001 dem Museum Burg Linn geschenkt. Diesem Schatz widmet sich Christoph Dautermann vom Museum in seinem Text in der „Heimat“.

Foto: Andreas Bischof

Über Krefeld, seine Geschichte, Besonderheiten und seine Bürger ist viel zu erzählen. Zum Ende eines jeden Jahres veröffentlicht der Verein für Heimatkunde für seine Mitglieder wie auch interessierte Krefelder das Jahrbuch „Die Heimat“. In seinem 101. Jahr nach Vereinsgründung ist vor Kurzem der Jahrgang 90 erschienen. Auch wenn vor allem in Krefeld mit den von Mies van der Rohe erbauten Villen Haus Lange und Haus Esters sowie dem HE-Firmengeebäude für die Verseidag das Bauhaus-Jahr besonders viel Aufmerksamkeit erhalten hat, gibt es in der neuen Heimat zahlreiche andere Themen, die das Thema nur am Rande streichen.

So zum Beispiel die das moderne, im Bauhausstil errichtete kommunale Zweckgebäude der neuen Feuerwache, das das Titelbild ziert oder der Beitrag von Sandra Franz, Leiterin der Gedenkstätte Villa Merländer, die das Verhältnis von Bauhaus und Nationalsozialismus über die Stadtgrenzen hinaus reflektiert.

Die Geschichte hinter dem Schriftzug „Jedem das Seine“

Dabei lenkt die an der Heinrich-Heine-Universität und an der University of Oxfort studierte Historikerin und Jiddistin den Blick auf das Schicksal der jüdischen Bauhaus-Vertreter, wie beispielsweise Franz Ehrlich. Der überzeugte Kommunist hatte am Bauhaus unter Klee, Kandinsky und Gropius studiert und war bereits 1934 inhaftiert und kurz nach der Eröffnung nach Buchenwald geschickt worden.

Etwa ein Jahr später sei er von der SS beauftragt worden, die Inschrift zu gestalten. „Vielleicht war es eine innere professionelle Verpflichtung, die ihn dazu brachte, selbst unter diesen Umständen etwas von Wert zu schaffen. Vielleicht handelt es sich aber auch um einen bewussten Akt des Widerstandes. In jedem Fall erkannte die Lagerleitung den verhassten Stil (des Bauhauses) in dem Schriftzug „Jedem das Seine“ nicht“, schreibt Sandra Franz.

Während die politisch Gefangenen, meist Kommunisten, sich über die Implikation der Aussage völlig im Klaren gewesen seien, entging dem Kommandanten von Buchenwald, Karl Otto Koch, die ironische Brechung. Franz zitiert Prof. Dr. Mary Fulbrook, Mitglied des wissenschaftlichen Kuratoriums der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora: „In gewisser Weise drückte Ehrlich mit dieser Schrift aus: es gibt noch ein anderes Deutschland, eine andere Tradition. Wir werden dies überstehen. Unser Geist im immer noch am Leben.“ In einem Gedicht eines Häftlings namens Karl Schnog wird die Bedeutung des Satzes umgedreht: „Zu gegebener Zeit bekommt ihr, was ihr verdient, eines Tages werden wir frei sein und dann werden wir Gerechtigkeit haben, wir werden uns an euch rächen, der SS.“

Ein komplette Wohnunge für ds Museum Burg Linn

So wie Sandra Franz mit ihrem Artikel ein neues Licht auf den Schriftzug über dem Eingang von Buchenwald wirft, tut das auch Christoph Dautermann, der stellvertretende Leiter des Museums Burg Linn, in seinem Beitrag in der „Heimat“. Mit „Dunkle Materie oder: Das Nicht-Erinnerte“ überschrieben, beleuchtet er eine Krefelder Wohnungseinrichtung, die im Jahr 2001 dem Museum komplett übergeben wurde. Auf den ersten Blick scheint dieses Material es zu ermöglichen, über einen Zeitraum von cirka fünfzig Jahren private Alltagskultur, Wohnen und Leben in Krefeld nachzuvollziehen und zu dokumentieren. Darüber hinaus auch immer wieder Beziehungen zu regional- oder überregional geschichtlichen relevanten Ereignissen und kulturgeschichtlichen Entwicklungen herzustellen. Wie zum Beispiel ein Original der Bildzeitung vom 26. Juli 1961 mit der Titelzeile „Attentat auf Adenauer“. Mit dem Artikel wird der Briefbombenangriff auf den damaligen Bundeskanzler bekannt, das 1952 fehlgeschlagen und seither geheim gehalten wurde.

Während dieser Inhalt noch offensichtlich war, lenkt Dautermann in seinem Artikel den Blick auf das Unsichtbare, das „Nicht-Erinnerte“, wie er es nennt. Bei der Sichtung der insgesamt rund 600 erfassten Objekte aus der kompletten Wohnung, ist er beim Katalogisieren der Stücke auf Kalender-Eintragungen, Postkarten von jungen Männern, mit denen der Wohnungsinhaber noch Jahre nach den Reisen Kontakt pflegte und Briefe gestoßen, die auf seine nicht offen gelebte Homosexualität schließen lassen. „Schlicht, weil sie damals unter Strafe stand“, folgert Dautermann. Auch nach der endgültigen Aufhebung des Paragrafen 175 und der endgültigen Streichung aus dem Strafgesetzbuch habe sich der Wohnungseigentümer nicht geoutet – was für den Museumsvize auch ein Licht auf das Leben in Krefeld wirft. „Sowohl in der Krefelder Lokalgeschichtsschreibung als auch in der Krefelder Öffentlichkeit hat Homosexualität in den Jahrzehnten nicht stattgefunden“, schreibt Dautermann.

Mitglieder des Vereins für Heimatkunde erhalten das Jahrbuch kostenlos. Alle anderen können es zum Preis von 27,50 Euro über den Buchhandel beziehen.

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