Interview Blind-Guardian-Sänger Hansi Kürsch: „Wer probt, ist feige“

Krefeld · Hans „Hansi“ Kürsch hat in der Talkreihe „Mensch, Krefeld“ erzählt, warum seine Band am Anfang kaum live gespielt hat, was die Fans in Japan besonders macht und was die Musiker für die kommenden zwei Jahre geplant haben. Über seine Heimatstadt sagt er: „Krefeld ist eine Perle.“

 Hans „Hansi“ Kürsch im Gespräch mit WZ-Redaktionsleiter Christian Herrendorf.

Hans „Hansi“ Kürsch im Gespräch mit WZ-Redaktionsleiter Christian Herrendorf.

Foto: Andreas Bischof

Sie haben gerade ein neues Album veröffentlicht. Es gibt Künstler, die sich zu solchen Anlässen nur noch die guten Rezensionen schicken lassen. Wie gehen Sie mit Besprechungen um?

Hans Kürsch: Wir verschaffen uns einen Überblick. Man muss kritikfähig sein. Man muss vor allem darauf vorbereitet sein, substanzlose Kritik über sich ergehen zu lassen. In 30 Jahren habe ich es irgendwann gelernt. Und jetzt mittlerweile igoniere ich das meiste.

Es gab für das neue Album viele und zum Teil sogar extrem gute Kritiken. Was denken Sie, ist die Ursache?

Kürsch: Ich glaube, es liegt daran, dass die Leute Qualität durchaus zu schätzen wissen. Man merkt, dass wir uns Mühe gegeben haben. Und auch, wenn der ein oder andere nicht alles nachvollziehen kann, was wir vielleicht gut finden, dann wird zumindest gutgeheißen, dass wir tatsächlich viel Arbeit und Zeit da reingesteckt haben.

Die ersten Ideen zu diesem Album sind inzwischen 22 Jahre alt. Hatten Sie irgendwann die Sorge, dass das Album nicht das wird, was sie sich ursprünglich vorgestellt hatten?

Kürsch: Wir haben immer mal wieder Testballons gemacht. Selbst die ältesten Stücke sind immer wieder neu aufgenommen worden, um zu sehen, wo wir stehen. In erster Linie ging es um mich und meine Stimme, die hat sich in 22 Jahren natürlich verändert, und ich musste mich in den 22 Jahren immer wieder neu auf die Sachen einstellen. Das funktionierte über all die Jahre, deshalb waren wir relativ sicher, dass wir den ursprünglichen Gedanken durchaus getroffen hatten und reproduzieren würden. Das ist super gut gelungen, aber natürlich haben wir alles mitgenommen, was uns zur Verfügung stand in technischer Hinsicht.

Für das neue Album haben Sie mit drei Orchestern gesprochen. Warum?

Kürsch: Der ausschlaggebende Punkt war der Sound. Die Leute aus Prag haben tatsächlich so geklungen, wie wir es programmiert hatten. Bei den anderen war es so, dass da einfach andere Auffassungen vorhanden waren. Die Prager hatten auch den Vorteil, dass da mit dem Orchester gleichzeitig auch eine Orchesterhalle vorhanden war, die extrem gut klingt.

Haben Sie mit dem Orchester zusammengespielt?

Kürsch: Die haben vorgelegt. Wir haben denen die Noten übergeben, die sind dann aufs Orchester angepasst und live aufgenommen worden, allerdings ohne mich. Ich bin ja praktisch der einzige Blind Guardian, der auf dem Album zu hören ist. Ich musste mich dann auf dieses Orchester legen, was relativ schwierig ist, weil man normalerweise im Studio Zugriff auf alle Instrumente hat. In diesem Fall hatte ich nur das Orchester. Das Orchester wirkt wie ein großes organisches Biest, das extreme Dynamiken spielt.

Ihre Stimme ist eines der Markenzeichen von Blind Guardian. Wie haben Sie sie entdeckt und entwickelt?

Kürsch: Im Grunde genommen arbeite ich, seit ich mit Blind Guardian Musik mache, daran. Das hat sich über die Jahre so entwickelt. Ich wusste, dass ich eine relativ große Bandbreite habe an Tonalitäten und Charakteren, die ich singen kann. Die habe ich mir über die Jahre immer stärker erarbeitet und bin dafür auch den einen oder anderen Meter extra gelaufen.

Haben Sie im Laufe der Jahre eine Stimm-Ausbildung gemacht?

Kürsch: Ich habe meine musikalische Karriere tatsächlich im Linner Fanfarenzug begonnen. Ich war ein miserabler Hornspieler und mit der Fanfare war es nicht besser. Ich habe dann die Gitarre entdeckt, war allerdings auch ein relativ schlechter Gitarrist. Aber ich wusste da schon, dass ich Metalmusiker werden wollte und habe ab dem Moment angefangen, mich in die Musik einzuarbeiten. Ich bin dann bei Lucifer’s Heritage und Blind Guardian als Bassist und Sänger eingestiegen. Den Sänger habe ich eigentlich nur gemacht, damit ich Bass spielen kann. Daraus hat sich dann eine Leidenschaft entwickelt. Mit dem dritten Album habe ich meine Passion komplett entdeckt und ab dann für gut 15 Jahre klassischen Gesangsunterricht genommen.

Wo haben Sie in den Anfangstagen in den Achtzigern in Krefeld gespielt?

Kürsch: Wir haben eigentlich gar nicht viel gespielt. Unser Credo war: Wir machen Songs, Demos und kriegen dann einen Plattenvertrag. Wir haben nicht daran geglaubt, dass man über Konzerte dieses Ziel erreichen kann. Wir haben mit Lucifer’s Heritage, bevor wir einen Plattenvertrag bekommen haben, vielleicht vier oder fünf Konzerte gespielt. Das erste Konzert war auf einer Hauptschulparty, da hat der Hausmeister nach fünf, sechs Songs den Strom abgestellt. Das zweite Konzert haben wir, wenn ich mich richtig erinnere, in der Krefelder Kulturfabrik gespielt.

Was war die härteste Konzert-Erfahrung, die Sie in jener Zeit gemacht haben?

Kürsch: Das am schlechtesten besuchte Konzert war eines in Ludwigshafen. Da waren zwölf Leute. Sechs davon waren aber Journalisten und die haben uns zum Glück richtig abgefeiert.

Wann haben Sie gemerkt, dass Sie von der Musik leben können?

Kürsch: Wir haben das nie in Frage gestellt. Ich habe die Geduld meiner Eltern etwas überstrapaziert. Ich bin das jüngste von vier Kindern, die anderen waren schon aus dem Haus, da habe ich gedacht, ich kann das noch ein bisschen stretchen. Als ich mit der Handelsschule fertig war, musste ich in die Ausbildung, weil meine Eltern gesagt haben: ,Der Junge muss was Ordentliches lernen.’ Die anderen in der Band haben es etwas geschickter angestellt, die sind direkt in den Zivildienst. Nachdem ich die Ausbildung abgeschlossen hatte und die anderen den Zivildienst, war klar, dass wir davon leben können. Die Plattenfirma hat uns ein kleines Gehalt angeboten, das haben wir dankend angenommen.

Welche Bedeutung hat Ihr Studio in Oedt?

Kürsch: Wir haben das Studio so ausgebaut, dass es für uns perfekt ist. Wir haben mit den Touren, die immer länger wurden, immer länger werdende Albumproduktionen gehabt. Wir waren vier Monate unterwegs, sechs Monate, das ging dann auch zu Lasten unserer Familien. Wir haben deshalb gesagt, wir wollen unsere Alben im Studio zu Hause aufnehmen, um in dieser Zeit auch zu Hause zu sein.

Ist es dann so, dass Sie ganz normal morgens zur Arbeit gehen und zum Abendbrot wieder zu Hause sind?

Kürsch: Ja, das habe ich so schon etabliert, als wir in Krefeld in den Bunkern gewesen sind. Da sind die Schichten so aufgeteilt gewesen, dass ich in der Regel die Frühschicht hatte, wir dann geprobt haben, und André (Gitarrist André Olbrich, Anm. d. Red.) hat dann die Nachtschichten übernommen. Seit wir dieses Studio haben, ist das etwas anders. Wir proben nicht mehr. Wer probt, ist feige. Wir treffen uns nur noch zum Komponieren.

Wie haben Sie Anfang der Neunziger den Sprung nach Japan geschafft?

Kürsch: In Japan sind die Menschen immer schon sehr rock-affin gewesen. Bei uns war es so, dass irgendwer unser Album im Radio gespielt hat und wir unsere erste Kritik bekommen haben. Dadurch sind die Plattenfirmen auf uns aufmerksam geworden. Dann kam das Album ,Somewhere Far Beyond’, das lag, glaube ich, sehr gut im Zeitgeist. Dieses Album hat uns da den kommerziellen Erfolg gebracht.

Wie unterschieden sich die Shows in Japan von den Erfahrungen, die Sie bis dahin auf Tournee gemacht hatten?

Kürsch: Zum einen sind da damals sehr viele Mädels gewesen. Wenn wir hier in Deutschland gespielt haben, hatten wir eine Quote von 70 zu 30. In Japan war es umgekehrt, da waren 70 Prozent Frauen. Das hatte schon ein bisschen etwas von einem Tennie-Hype. Die Leute sind uns überall hin gefolgt. Die Hotels waren voll mit Leuten, in jeder Kneipe, in die wir gegangen sind, waren die Fans schon. Und wenn man auf die Bühne gekommen ist, gab es einen eher weiblichen Applaus.

Sie haben es mit Ihren Alben in Deutschland bisher auf Platz zwei geschafft. Was würde Ihnen eine Nummer eins bedeuten?

Kürsch: Das war für die Plattenindustrie bis vor zehn Jahren extrem wichtig. Heute wird das noch zur Kenntnis genommen und man kann einen kleinen Pressehype bekommen, einen ganz ganz kurzen. Aber es hat keine weitere Relevanz, weil es zu häufig passiert. Wir haben in diversen Ländern die Eins geknackt, von daher ist es nicht so, dass wir das Gefühl nicht kennen. Aber auch in diesen Ländern können wir uns für diese Eins nichts mehr holen.

Wie empfinden Sie Ihr Leben in Krefeld?

Kürsch: Es ist ein sehr angenehmes Leben, ist es auch immer gewesen, über die ganzen 30 Jahre. Deshalb gab es für die Krefelder in der Band nie einen Grund, hier wegzuziehen. Wir fühlen uns hier super wohl. Das ist für mich Teil unseres Erfolgs: Ich kann mein Leben leben. Ich habe noch nie in meinem Leben, von den zwei Jahren in der Ausbildung mal abgesehen, ernsthaft gearbeitet.

Was bedeutet Krefeld für Sie?

Kürsch: Ich bin in Lank-Latum geboren, habe aber mein ganzes Leben in Krefeld gelebt. Ich habe mich immer als Linner gefühlt, bis ich 18 war, habe in Uerdingen gelebt, in Bockum, am Inrath – und ich habe mich überall wohlgefühlt. Krefeld hat hässliche Seiten, heute mehr als früher vielleicht, ist aber auch nach wie vor eine Perle. Ich lebe hier für mein Leben gern.

Wie kriegt man das, was Sie mit dem Blind Guardian Twilight Orchestra auf diesem Album gemacht hat, auf die Bühne? Ist Konzert noch eine passende Form dafür?

Kürsch: Wir werden uns Zeit lassen. Wir arbeiten im Moment am nächsten regulären Blind-Guardian-Album und fangen Anfang des nächsten Jahres die Produktion an. Das hält uns ungefähr ein Jahr auf Trab. Dann gehen wir mit Blind Guardian auf Tour und haben für Ende 2021/2022 geplant, das aktuelle Album auf die Bühne zu bringen. Eventuell nur einmal, dann in der Westfalenhalle oder einer ähnlichen Halle. Das steht noch ein bisschen in den Sternen.

Mit Orchester und den Schauspielern?

Kürsch: Ja, mit Orchester und Schauspielern. Wir arbeiten da an allen Fronten und das dauert auch tatsächlich solange, um die Leute so auf die Spur zu bringen, damit da keine Fragen mehr offen sind. Es wird dann eher wie ein Theaterstück sein.

Sie haben sich einen 22 Jahre alten Traum erfüllt, was kann danach kommen?

Kürsch: Wir haben jetzt schon eine Menge Songs für ein zweites Orchester-Album geschrieben. Das heißt: Das nächste Orchester-Album ist einer unserer Träume, auch wenn es wahrscheinlich wieder mehr als fünf Jahre dauern wird, bis wir es fertig haben. Darüber hinaus arbeiten wir an Material, das sich immer etwas anders entwickelt, als ich denke. Die neueste Nummer, die ich heute bekommen habe, klingt schon fast nach einem französischen Krimi. Wir sind also musikalisch noch nicht am Ende.

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