Christian Pfeiffer: „Kinder aus der Medienverwahrlosung reißen“

Christian Pfeiffer ist der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Hannover und einer der bekanntesten Experten auf diesem Gebiet

Krefeld. Killerspiele, schlechte Schulnoten, Jugendgewalt: Für diese Themen ist Christian Pfeiffer einer der bekanntesten Experten Deutschlands. Der Kriminologe ist Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts und Gründer der Bürgerstiftung Hannover. Am Montagabend besucht er die Bürgerstiftung Krefeld. Die WZ hat bereits vorher mit ihm gesprochen.

Kennen Sie Krefeld?

Christian Pfeiffer: Bisher durch einen einzigen Vortrag vor vielen, vielen Jahren. Aber nicht näher.

Wissen Sie trotzdem, wie es mit der Jugendkriminalität und dem Konfliktpotenzial in Krefeld aussieht?

Pfeiffer: Wir haben in Bochum geforscht, in Dortmund geforscht, in Köln. Uns ist die Szene in Nordrhein-Westfalen sehr wohl vertraut.

Sind die Ergebnisse ihrer Studien auf Krefeld übertragbar?

Pfeiffer: Ich denke schon, dass Krefeld auch ähnliche Probleme hat, wie die genannten Großstädte. Wir haben in den Großstädten überall eine ausgeprägte Winner-Loser-Kultur von den einen, denen das Leben alles beschert, was sie sich wünschen. Und den anderen, die den Satz ,Jeder ist seines Glückes Schmied' nicht mehr so recht glauben können.

Zum Teil flüchten sie sich in die virtuellen Welten oder sie hängen rum mit anderen, die ebenfalls mehr oder weniger Verlierer sind und kommen dann auf Gedanken, die nicht sehr erfreulich für die Opfer sind. Generell zeigt sich, dass junge Migranten höher belastet sind in ihrer Gewaltrate, als junge Deutsche.

Sind Ihnen in Krefeld bereits positive, unterstützende Angebot im Jugendbereich aufgefallen?

Pfeiffer: Ich weiß, dass es dort eine Bürgerstiftung gibt, die engagiert sich dieser Themen annehmen möchte. Deswegen reise ich ja hin, weil ich begeistert war. Bei einem großen Empfang des Bundespräsidenten für die Menschen, die sich in Bürgerstiftungen engagieren, hatte ich ganz tolle Leute aus Krefeld kennen gelernt.

Die Krefelder sind offenkundig auf einem guten Weg. Ich bin zuversichtlich, dass
ich an dem Abend auch aus Krefeld Dinge wahrnehmen kann, die Mut machen. Und das Ziel meines Vortrags ist auch, deutlich zu machen, welche Power Bürgerstiftungen für diese Jugendfragen entfalten können.

In Ihrem Vortrag geht es um Medienkonsum und Schulversagen. Wie wirkt sich übermäßiger Medienkonsum auf Schule und Gewalt aus?

Pfeiffer: Die Tatsache, dass wir in Deutschland im letzten Jahr 33 000 mehr weibliche als männliche Abiturienten hatten, aber dafür entsprechend mehr Männer, die einen schlechten Hauptschulabschluss absolvieren oder die Schule völlig abgebrochen haben oder nur die Sonderschule besuchen konnten.

Diesen krassen, jedes Jahr wachsenden Leistungsunterschiede von Mädchen und Jungen beruhen in ganz hohem Maße darauf, dass die Jungen weit mehr Zeit mit Computerspielen und Fernsehen verbringen als Mädchen. Und dass sie vor allem sehr brutale Inhalte favorisieren, die sich sehr schädlich auf Schulleistungen auswirken.

Angesicht des verhinderten Amoklaufs einer 16-Jährigen in St.-Augustin, stellt sich trotzdem die Frage: Sind Mädchen gewalttätiger geworden?

Pfeiffer: Amoklauf ist, wenn man die Panik in den Augen der Opfer lesen will, die man tötet. Sie hatte ein Brandstiftungsdelikt geplant, das ist was ganz anderes. Trotzdem, die Frage ist berechtigt, haben wir hier eine Zunahme?

Ich muss sagen nein. Die Tötungsdelikte von Mädchen sind so wie die der Jungen eher rückläufig. Wir haben durchaus eine Zunahme insgesamt der Gewaltkriminalität von Mädchen, aber sie bleibt weiter hinter der zurück, die wir bei den Jungen beobachten können.

Sie haben die Bürgerstiftung gelobt. Was kann sie denn in Bezug auf übermäßigen Medienkonsum, Schulversagen und eben auch Gewalt bei Jugendlichen leisten?

Pfeiffer: Bürgerstiftungen fühlen sich mehr oder weniger alle einem Prinzip
verpflichtet: Zukunftsinvestition Jugend. Das heißt, sie machen Angebote
gerade dort, an Schulen, in Freizeiteinrichtungen, in Stadtteilen, in denen
es fehlt. Wir in Hannover haben in zehn Jahren 220 solcher Projekte
organisieren können.

Und das erhoffe ich mir auch in Krefeld, dass da möglichst viele konkrete, kleine Projekte sinnvoll umgesetzt werden, die Alternativen darstellen zu dem, was sonst den Nachmittag vieler Kinder bestimmt.

Was muss eine Stadt neben den Angeboten einer Bürgerstiftung für
Jugendliche leisten?

Pfeiffer: Schulen, die nachmittags einem Motto verpflichtet sind: Lust auf Leben wecken. Durch Sport, Theater, Musik. Möglichst attraktive Angebote, die so spannend sind, so toll angeboten werden, dass sie interessanter sind als Computer spielen und Filme gucken. Wenn das gelingt, wenn wir die Kinder rausreißen aus ihrer Medienverwahrlosung durch tolle mitreißende Geschichten, dann kann man sich entspannt zurücklehnen.

Gibt es noch andere Möglichkeiten, wie Schulen aktiv werden können?

Pfeiffer: Ich war gerade in den USA und habe da ein sehr spannendes Konzept kennen gelernt. Jeder Schüler hat dort im Laufe des Vormittags 40 Minuten lang Fitnesstraining. Die Schüler sind zufriedener mit sich und den Dingen, die sie organisieren und leisten können, die Gewalt geht zurück, das Selbstbewusstsein steigt.

Bürgerstiftungen, Schule, vieles fängt natürlich auch zu Hause an. Welchen Rat geben Sie Eltern, um den Medienkonsum und damit die Schulleistungen ihrer Kinder im Rahmen zu halten?

Pfeiffer: Verbote sind einfallslos. Die Kinder unterlaufen sie locker. Nein,
die Eltern müssen sich etwas mehr einfallen lassen. Ich diskutiere meistens zwei, drei Mal im Monat mit jeweils 200 bis 300 Kindern und Jugendlichen über diese Fragen.

Da ist in jeder Veranstaltung, egal wo ich sie mache, immer wieder erkennbar: Die Eltern selber hängen zu viel passiv hinter der Glotze. Sehr häufig findet auch statt, dass die Kinder ihre Mediengeräte im Zimmer haben und die Eltern ihre im Wohnzimmer und dass man kaum noch miteinander spricht.

Was ist Ihre Konsequenz?

Pfeiffer: Der Appell an die Eltern zu entdecken, dass sie sich selber etwas
Gutes tun für ihr eigenes Lebensgefühl, wenn sie sich mehr auf ihre Kinder
einlassen und mit ihnen mehr unternehmen.

Wir können durch unsere Forschung feststellen: Eltern, die sich so verhalten, haben es im Alter viel schöner, als diejenigen, die mit ihren Kindern wenig unternehmen, sie lieblos und desinteressiert behandeln. Man gestaltet sein eigenes Alter durch die Art und Weise, wie man mit seinen Kindern umgeht.

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