Botschafter der Arbeitslosen

18 Jahre lang hat sich Joseph „Jo“ Greyn als Leiter des ArbeitslosenzentrumsALZ engagiert. Er hört auf — und freut sich auf seinen Ruhestand.

Botschafter der Arbeitslosen
Foto: Dirk Jochmann

Er ist 64 Jahre alt und hat sich in Krefeld als Streiter für die Rechte von Arbeitslosen einen legendären Ruf als deren Botschafter erworben. 18 Jahre lang setzte sich Diplom-Sozialarbeiter Joseph „Jo“ Greyn im Ökumenischen Arbeitslosenzentrum ALZ als Leiter engagiert und gegen viele Widerstände für seine Klientel ein — verbindlich nach innen, unbequem nach außen.

Keiner kann das besser beurteilen als sein langjähriger Weggefährte Werner Fleuren, Vorsitzender des eingetragenen Vereins, einem Mitgliederverbund aus evangelischer und katholischer Kirche sowie sachkundigen Bürgern: „Wir kennen ihn als Mann mit Ecken und Kanten, der sich nie verbiegen ließ. Oft wurde er öffentlich angegriffen, und dennoch blieb er stets bei seiner Meinung. Er hatte eine hohe Empathie für die Menschen, die zu uns kommen, und setzte sich im besten Sinne parteiisch für sie ein.“ Doch nun hört Greyn, der ein Mann klarer Worte ist, auf.

„Ich bin parteilich nicht gebunden. Mir wurde aber oft unterstellt, Kommunist zu sein. Dabei bin ich seit jeher ein Linker“, ordnet er sich politisch ein. Dazu passt seine aktive Mitarbeit seit 40 Jahren in einer Friedensbewegung, die für Menschenwürde und Abrüstung sowie gegen Krieg und Nationalsozialismus eintritt.

Seine politische Grundeinstellung habe sich während seiner Zeit am Arndt-Gymnasium entwickelt. Dort, so erklärt er schmunzelnd, hätten damals Eltern sogar die Aufteilung der Klassen nach sozialer Herkunft gefordert, was von den Lehrern jedoch empört abgelehnt worden sei. Seine ersten Berufsjahre in der Sozialarbeit, unter anderem mit der Betreuung von Haftentlassenen, habe er zum Teil als frustrierend erlebt — als langfristige Prozesse, oft verbunden mit Rückschlägen, aber selten mit positiver Rückmeldung. Das sei mit seinem Eintritt beim ALZ viel besser geworden — dank konkreter Sachverhalte, unmittelbarer Erfolgserlebnisse und viel Zustimmung von den Mitmenschen. Sein Fazit: „Meine Arbeit war eine tolle, befriedigende Erfahrung.“ Das gelte aber nicht für die Rahmenbedingungen in der Politik und am Arbeitsmarkt. „Die Jobcenter sind ein totalitäres System, dem die Arbeitslosen faktisch rechtlos ausgeliefert sind“, sagt er.

Die Rechte gebe es zwar auf dem Papier. Aber ohne Unterstützung würden sie vielen Arbeitslosen nicht zuteil. Viel Zeit im ALZ müsse daher darauf verwendet werden, ihnen bei Anträgen und in Fällen ungerechtfertigter Ablehnung von Leistungen zu helfen. Immerhin sei die Zusammenarbeit mit dem Jobcenter in den vergangenen Jahren offener und besser geworden. Von den großen politischen Entscheidungen erlebte Greyn die Einführung von Hartz IV als „menschliche Katastrophe, unter der die Menschen bis heute leiden“. Oft gerieten diese in Langzeitarbeitslosigkeit, als Bittsteller, würdelos und nicht selten psychisch krank. Krefeld beklage 13 000 Langzeitarbeitslose. Eine Folge davon sei die wachsende Kinderarmut. Auch hier klaffe zunehmend eine Lücke in der Gesellschaft. „Privilegierte zehn Prozent der Kinder besuchen inzwischen private Schulen, und deren Eltern verabschieden sich aus dem Solidarsystem.“

Negative Erinnerungen verbindet er mit Unternehmen, die seiner Meinung nach das Arbeitsrecht mit Füßen treten. Fressnapf sei so ein Beispiel aus jüngster Zeit, das durch Kündigungen nicht willfähriger Mitarbeiter zur Verwahrlosung des Arbeitsrechts beitrage und durch Abstandszahlungen zum Stillschweigen verpflichte. Mitarbeiter, die dann mit all ihren familiären Sorgen und Nöten beim ALZ landen. Greyn sagt, er sei in solchen Fällen trotz langer Erfahrung noch immer fassungslos, wie Behörden und Unternehmen Existenzen und Familienplanungen zunichtemachten.

Sorgen bereitete dem langjährigen Leiter regelmäßig die oft unsichere Finanzlage des ALZ. Etwa, als die Kirchen vor einigen Jahren in finanziellen Nöten als Hauptgeldgeber die Mittel mit einem Schlag um 38 Prozent kürzten und die Stadt 2011 ihren jährlichen Zuschuss von 15 000 Euro einstellte. Gefolgt von Glücksmomenten, als es gelang, ein neues Domizil am Westwall zu bekommen, oder als die Stadt ankündigte, den Zuschuss in diesem Jahr wieder zu gewähren. Seine berufliche Bilanz: Es sei ein Riesenglück und Privileg, über viele Jahre eine so vielschichtige und erfüllende Arbeit machen zu dürfen.

Seine Arbeit sieht er bei seinem Nachfolger Hans-Peter Sokoll in guten Händen (die WZ berichtete). Er selbst hat bis zum endgültigen Ruhestand noch ein berufliches Teilengagement in Viersen. Weiterhin will er sich seinen Aktivitäten im Krefelder Sozialbündnis, in der Mitgliederversammlung und in der Friedensbewegung widmen. Der ALZ-Vereinsvorstand hat schon angekündigt, auf seine Erfahrung nicht verzichten, sondern ihn einbinden zu wollen. „Ein Leben ohne Aktivitäten kann ich mir nicht vorstellen“, sagt Greyn.

Und dann sei da noch der langgehegte Wunsch, sein Leben nach Frankreich zu verlagern. Bei den streitbaren Franzosen fühle er sich wie zu Hause.

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