Handwerk Die Friseur-Meile an der Neusser Straße

Krefeld · Gefühlt gibt es zwischen Südwall und Hansa-Zentrum mehr Haarschnitt- und Bartläden als Gullydeckel. Ein Besuch.

Beide Teams vom Königsfriseur. Die Läden für Männer und Frauen liegen direkt gegenüber.  Foto: Andreas Bischof

Beide Teams vom Königsfriseur. Die Läden für Männer und Frauen liegen direkt gegenüber. Foto: Andreas Bischof

Foto: ja/Bischof, Andreas (abi)

Die Neusser Straße zwischen Südwall und Hansa Centrum lebt. Sie ist hier vielleicht das trefflichste Synonym für ein multikulturelles Krefeld, das sich nicht in Hinterhöfen oder geschlossenen Communities abspielt. Und wenn der Ostwall sich parallel auf diesem Breitengrad den Namen „Döner-Meile“ verdient, ist die Neusser ein Haar- und Bart-Dorado. Es gibt gefühlt mehr Friseure als Gullydeckel.

Und sie funktionieren nach dem Prinzip: schnell rein, schnell raus, runderneuert für ein paar Euro. Was an diesem System funktioniert und  was nicht, erklärt Yilmaz Kilinc, während die Haarschneidemaschine surrt.

Damen und,
Herren getrennt

Kilinc war Inhaber des Königs-Friseurs, heute ist er angestellt bei Maher al Arag. Im selben Laden. Hier kommen nur Männer herein und werden von Männern bedient, direkt auf der gegenüberliegenden Seite frisieren Frauen Frauen. Normal und logisch, findet Kilinc. „Das hat keinen religiösen Hintergrund, Frauen fühlen sich in einem reinen Damensalon einfach wohler.“ Das habe sicher auch etwas mit der Kultur zu tun, dem Geschäft tue das keinen Abbruch. „Wir leben hier von Laufkundschaft, machen keine Termine.“ Die Läden brummen. Wegen der niedrigen Preise und der Unverbindlichkeit.  Wer mag, kann in den Läden auf der Neusser für elf Euro Bart und Kopfhaar geschnitten bekommen.

Der Inhaber eines deutschen Meisterbetriebs bekäme wohl das Weinen. Da macht auch Kilinc kein Hehl draus. „Bei uns arbeiten fast nur Teilzeitkräfte, wir zahlen Mindestlohn.“ Das Geschäftsmodell, meint Kilinc, mache alle Beteiligten zufrieden. „Wir haben Angestellte aus Rumänien, der Türkei, Bulgarien, Polen. Alle haben ihr Handwerk in der Heimat gelernt, wollen in der Regel gar nicht in Vollzeit arbeiten. Der Markt funktioniert, auf Arbeitnehmer- und Kundenseite.“ Die Fluktuation sei hoch, die Wenigsten arbeiteten über Jahre in ein und dem selben Betrieb.

Kilinc ist eine Frohnatur. Er kam vor 20 Jahren nach Deutschland, ist heute 42. Und Realist. Er erklärt die Kehrseite der niedrigen Preise. „Reich wirst du auch als Inhaber eines solchen Friseurladens nicht. Der Mindestlohn ist angehoben worden, die Sozialabgaben, und die Konkurrenz ist gerade hier enorm. Die Qualität ist überall sehr gut.“ Darum habe er sich entschieden, ins Angestelltenverhältnis zu rutschen. Arbeit gebe es immer. Was die Qualität der Dienstleistung anbelangt, hat Kilinc eine bemerkenswerte Einschätzung: „In meiner Heimat Türkei ist die Ausbildung sehr praxisorientiert. In vielen anderen Ländern auch. In deutschen Betrieben muss ein Azubi im ersten halben Jahr in erster Linie fegen.“ Damit wolle er keineswegs das deutsche Ausbildungssystem kritisieren. „Das ist top, ich will nur erklären, warum es hier funktioniert und gut angenommen wird.“

Das sei so ein bisschen wie am Ostwall. „Da gab es zunächst auch nur einen Dönerladen, heute reihen sie sich aneinander.“ Gerade Auswärtige glaubten, dass es dort dann ja besonders guten Döner geben müsse. „Den gibt es auch, und das gleiche gilt für die Neusser mit den Friseurläden.“

Ein Riesenmarkt seien vor allem junge Kunden. „Es gibt ein neues Selbstverständnis, sich selbst zu pflegen. Ein Hype. Viele junge Kunden wollen alle zwei, drei Wochen, den Bart akkurat rasiert haben, die Frisur gerichtet, einfach gut aussehen.“ Wer so will, kann die Neusser Straße als Beauty-Meile bezeichnen. Friseure, Nagelstudios, Kosmetik. „Wir werden bald auch ein Kosmetik-Angebot mit reinnehmen. Für Männer. Die sind da schlimmer als Frauen,“ sagt Yilmaz Kilinc und grinst. Ohne soziale Medien sei dieser Markt heute kaum vorstellbar. Wer den richtigen Friseur hat, habe etwas vorzuweisen. Kilinc sagt: „Die jungen Kunden präsentieren sich auf Instagram, Snapchat, Facebook. Sie sind stolz auf den Friseur, machen Fotos, laden sie hoch.“

Verrückt? „Nein, Teil der Wahrheit. Genauso, wie die Kunden, die wir nicht erreichen, weil sie sich lieber bei ihrem Meisterbetrieb-Friseur einen Termin machen und sich dort wohler fühlen.“

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