1943: Eimerkette vom Keller bis zum Dach, während die Bomben fielen

Eine Stabbombe hatte das Haus der Familie Sommer an der Marktstraße getroffen. Zum Glück hatte man Wasservorräte angelegt.

Krefeld. Einige Bomben waren in Krefeld schon gefallen. Fliegeralarm gab es fast jede Nacht. Manchmal zweimal und öfter. Die Krefelder Bevölkerung rechnete täglich mit einem großen Bombenangriff. Die Menschen hatten Angst.

Am 22. Juni war es so weit. Nach Mitternacht heulten die Sirenen. Ich war sofort aus dem Bett, rannte wie bei jedem Alarm, in das Nebenhaus, um einen querschnittsgelähmten Mann mit in den Luftschutzkeller zu tragen. Nach dem der Freund und Nachbar Heinz Buss versorgt war, lief ich noch ein paar Häuser weiter bis zur Marktstraße 240, dort wohnten Schlungs. Diese hatten schon Drahtfunk und das Fenster geöffnet. Über diesen Drahtfunk kamen Meldungen und Warnungen von der deutschen Luftabwehr. Einige Nachbarn hatten sich dort versammelt, um die Meldungen zu hören. Dort traf ich auch meinen Vater.

Die Meldungen besagten, das zwei Bomberverbände im Anflug auf Krefeld waren. Der Sprecher sagte noch: „Vorsicht in Krefeld vor Bombenabwürfen“. Wir rannten die 100 bis 150 Meter nach Hause. Wir hörten das dumpfe Grollen der anfliegenden Bomber, dann sah ich zum ersten Mal Christbäume am Himmel stehen und wusste sofort, was das zu bedeuten hatte.

Im Nu standen Scheinwerfer am Himmel, die Flak schoss aus 100 Rohren. Wir stürzten ins Haus und in den Luftschutzkeller. Wir waren noch nicht ganz im Keller, als vor unserem Haus Marktstraße/Ecke Gutenbergstraße die ersten Brandbomben aufschlugen. Die Stabbrandbomben wogen fünf Kilogramm, waren sechseckig und hatten ein Leitwerk aus Blech. Sie schepperten eigentümlich, wenn sie aufschlugen.

Eine Phosphorbombe schlug genau auf der Kreuzung Marktstraße/Nauenweg auf. Diese wogen 30 Kilogramm. Sie sahen aus wie ein Feuerlöscher, obwohl sie das Gegenteil waren.

Beim Aufschlag wurde der Phosphor nach oben herausgeschleudert. Der Phosphor war klebrig und jeder Tropfen brannte sofort. Wenn ein Haus von solch einer Bombe getroffen wurde, war nichts mehr zu machen. Löschen war sinnlos.

Kurz nach Beginn des Angriffs fiel das Licht und etwas später auch das Wasser aus. Wir machten Kerzen an. Bei jeder Sprengbombe flackerte, durch die Druckwelle ausgelöst, das Kerzenlicht. Wir saßen mit etwa zwölf Personen in unserem Luftschutzkeller von 2,30 mal 3,30 Meter Größe.

Ein paar Minuten nach Beginn des Bombardements, die Bomben schienen auch etwas weiter weg zu fallen, lief mein Vater aus dem Keller, rannte bis zum Dach hoch und kam mit der Schreckensnachricht zurück: „Das Dach brennt!“

Er nahm ein paar beherzte Männer mit nach oben. Die Wasser- und Sandvorräte, die auf jeder Etage in Wannen und Eimern bereit standen, waren schnell verbraucht. Wir hatten noch Wasservorräte im Keller in der Waschmaschine, im Waschkessel und in den Wannen. Aber das Dach brannte und zwischen Dach und Keller waren drei Geschosse und die Mansarden.

Im Luftschutzkeller hatten wir schon den Durchbruch zum Nachbarkeller aufgeschlagen, so dass wir Verbindung mit unseren Nachbarn hatten. Als unsere Nachbarn davon hörten, dass unser Haus brannte, kam einer nach dem anderen durch den Durchbruch uns zu Hilfe.

Ich stand mit meinen zwölf Jahren und meiner kleinen Schwester in der Waschküche und füllte unsere Wasservorräte in Eimer. Unsere Hausbewohner und die Nachbarn hatten eine Eimerkette vom Keller bis zum Dach gebildet und schafften Eimer für Eimer nach oben. Aus der Wasserleitung kam kein Tropfen Wasser mehr. Draußen tobte der Bombenangriff!

Nach kurzer Zeit war das Feuer gelöscht. Alle kamen in den Keller zurück. Wir saßen im Keller und mussten jeden Augenblick mit einem Volltreffer rechnen. Dann war der Angriff auf einmal vorbei. Wir hatten Glück gehabt, unser Haus stand noch. Das Dach war teilweise abgedeckt und einige Fenster waren zerstört. Wir hatten Glück gehabt, nur die ersten Bomberwellen hatten den Westen der Stadt getroffen, dann hatte sich das Bombardement nach Nordosten verlagert.

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