Klimawandel Der Wald und sein Wettlauf gegen die Zeit

Remscheid · In Remscheid ist der Aufbau eines naturnahen Dauerwaldes seit Jahren beschlossen. Aber eine behutsame Entwicklung lässt der Klimawandel nicht zu.

Dem Borkenkäfer auf der Spur:  Der Remscheider Revierförster Lothar Benkel untersucht die Rinde einer Fichte.

Dem Borkenkäfer auf der Spur:  Der Remscheider Revierförster Lothar Benkel untersucht die Rinde einer Fichte.

Foto: Ekkehard Rüger

Lothar Benkel geht mit prüfendem Blick voran. Das Waldgebiet bei Lüttringhausen-Klausen gehört zu seinem Revier Remscheid-Nord. Im kommenden März ist der 56-Jährige hier seit einem Vierteljahrhundert Förster. Wenn er die beiden Worte „Noch nie“ in den Mund nimmt, hat das Gewicht.

Was in diesem Jahr in den 900 Hektar Wald passiert ist, die in seine Zuständigkeit fallen, das hat er „noch nie erlebt“. Benkel packt das Taschenmesser aus, hebt an einem Fichtenstamm ein Stück Rinde ab, um danach nüchtern festzustellen: „Da ist der Käfer schon raus. Der Baum ist tot.“

Dann legt der Revierförster den Kopf in den Nacken und mustert die luftig verteilten Baumkronen. „Bis zum Sturm Kyrill im Jahr 2007 war das hier ein geschlossener Fichtenbestand. Da haben Sie den Himmel nicht gesehen.“ Jetzt dringt das bergische Grau mühelos durch die ausgedünnten Baumwipfel, denen in der Höhe vor allem der Borkenkäfer mit dem Namen Kupferstecher sichtbar zugesetzt hat. Weiter unten im Stammbereich macht sich derweil sein Verwandter, der Buchdrucker, zu schaffen. Großes Holz heißt das Waldgebiet, in dem die Fichten stehen. An dieser Stelle könnte man auch sagen: Totes Holz. „Ich gehe davon aus“, sagt Benkel, „dass hier im nächsten Jahr kaum noch ein lebender Baum steht.“

Dann klingelt das Handy. Ein Holzhändler aus dem bergischen Hückeswagen ruft an. „Der kauft jetzt das Holz, das wir im Sommer aufgearbeitet haben“, sagt Benkel. Die Landesregierung will das Schadholz so schnell wie möglich aus dem Wald herausholen, um die Vermehrung der Borkenkäfer zu mindern. Aber der Holzmarkt ist verstopft, die Sägewerke seit dem Sturm überlastet, die Lager gefüllt. Der Preis für einen Festmeter Fichtenholz, wie die Branche einen Kubikmeter reine Holzmasse nennt, hat sich seit Jahresbeginn halbiert. Eine große Zukunft hat die Baumart nach Benkels Einschätzung ohnehin kaum noch: „Die Fichte wird mit dem Klima nicht mehr klarkommen.“

„Schneller und dramatischer,
als wir reagieren können“

Wenige Kilometer entfernt sitzt Markus Wolff in seinem Büro der Technischen Betriebe Remscheid. Er leitet den Geschäftsbereich, der auch für die kommunale Forstwirtschaft zuständig ist. Unter Zeitdruck klickt er durch die Präsentation, die er zwei Stunden später auch dem Naturschutzbeirat der Stadt präsentieren will. Die Atemlosigkeit passt zur Kernaussage seines Vortrags: „Der Klimawandel verläuft schneller und dramatischer, als wir reagieren können.“

Gerade fünf Jahre ist es her, dass der Rat die neue Forsteinrichtung billigte, ein auf zehn Jahre angelegtes Planungsinstrument für den städtischen Forstbetrieb. Unter dem Punkt „Wirtschaftlichkeit“ heißt es: „Angestrebt werden dabei ökologisch vielfältige und stabile Bestände zur Sicherung des Naturhaushaltes einschließlich einer artenreichen Tier- und Pflanzenwelt. Das waldbauliche Ziel ist hierbei der Aufbau eines strukturreichen, naturnahen Dauerwaldes mit möglichst vielen standortgerechten, ungleichalten und natürlich verjüngten Baumarten.“ Damals habe man noch geglaubt, die Zeit für einen ökologischen Umbau zu haben, um den Wald widerstandsfähig für den Klimawandel zu machen, sagt Wolff. „Aber die Zeit haben wir nicht mehr. Wir hecheln nur den Schadensereignissen hinterher.“

Wolff ist einer der Experten, den das NRW-Umweltministerium in seine neue Task Force „Borkenkäfer“ berufen hat. Und er registriert mit Befremden, dass in Düsseldorf nach seinem Empfinden sehr technokratisch auf das Jahr 2018 geblickt werde. Im Mittelpunkt stünden die Ernteeinbußen und die Folgen für die Holzwirtschaft. „Dabei ist der ökologische Schaden viel dramatischer.“

Denn seine Funktion im Ökosystem, beispielsweise für die Luftreinhaltung, kann der Wald nur übernehmen, wenn es ihn noch gibt. „Aber in Mitteleuropa sind ganze Landstriche entwaldet oder drohen zu entwalden“, sagt Wolff. Die Ausmaße seien noch nicht ansatzweise begriffen worden. Dabei steht je nach Verlauf des Winters das schlimmere Borkenkäferjahr womöglich noch bevor. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft hat bisher für die kommenden fünf Jahre gerade 25 Millionen Euro an Schadenshilfe bereitgestellt – für ganz Deutschland.

Wenn Förster Benkel im nächsten Jahr entscheiden muss, welcher Baum gefällt wird und welcher nicht, wird die Auswahl schwerer als üblich.  Das Land empfiehlt mittlerweile, die toten Bäume stehen zu lassen – weil nicht nur das Leben, sondern damit auch die Borkenkäfer aus ihnen gewichen sind.

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