Konzept in Düsseldorf „Bei Nachhaltigkeit sind alle gefragt“

Interview | Düsseldorf · Die Leiterin der Geschäftsstelle Nachhaltigkeit erklärt im Gespräch ihre Aufgaben und, was jeder Einzelne tun kann.

Ursula Keller (55) beschäftigt sich seit 2002 mit dem Thema Nachhaltigkeit und ist seit 1989 bei der Stadt Düsseldorf angestellt.

Ursula Keller (55) beschäftigt sich seit 2002 mit dem Thema Nachhaltigkeit und ist seit 1989 bei der Stadt Düsseldorf angestellt.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Der Begriff Nachhaltigkeit klingt oft ein bisschen schwammig. Worum geht es dabei?

Ursula Keller Es geht um die drei Säulen der Nachhaltigkeit, den Dreiklang von Ökonomie, Ökologie und Sozialem. Hier greife ich gerne auf die Formulierungen aus der Agenda 2030, die die inhaltliche Grundlage unserer Arbeit ist, zurück: Es geht um die Transformation unserer Welt und nicht nur um kleinere Veränderungen am Rande.

Also eine umfassende Aufgabe?

Keller Ja, alle müssen dabei mitmachen. Es geht um Antworten auf die Frage, wie wir in Zukunft leben wollen. Diese Frage umfasst die Gesellschaft, in dieser Stadt, diesem Land, aber auch weltweit – und zusätzlich, unter welchen ökologischen Bedingungen das möglich sein wird.

Inwieweit haben Düsseldorfer hier Einfluss darauf?

Keller Die Agenda 2030 der Vereinten Nationen liefert 17 Nachhaltigkeitsziele zu dem oben genannten Dreiklang, darunter „Kein Hunger“, „Geschlechtergleichheit“ „erneuerbare Energien“ oder „Nachhaltige Städte und Gemeinden“. Insgesamt gibt es dazu 169 Unterziele. Rund 60 Prozent der Ziele richten sich mit direkten oder ausdrücklichen Aufgaben an die Kommunen. Wir in der Geschäftsstelle Nachhaltigkeit müssen also global denken und lokal handeln, denn vor Ort erfolgen die konkreten Umsetzungen.

Funktioniert das denn gut?

Keller Ziel ist, dass Nachhaltigkeit zu einem neuen Grundsatz wird, nach dem wir handeln, ebenso wie etwa die Rechtmäßigkeit oder Verhältnismäßigkeit es jetzt schon sind. Nachhaltig als das neue Normale, das wäre mein Wunsch. Denn am Ende geht es darum, den ökologischen Fußabdruck, also die Emissionen, zu verringern, und den Handabdruck, das, was wir selbst verändern und beeinflussen können, zu vergrößern.

Sie sprechen im Konjunktiv.

Keller Es wird schon immer normaler – aber es gibt auch Schwierigkeiten, denn es braucht Veränderungen und die sind nie einfach. Die 17 Nachhaltigkeitsziele haben auch Konflikte untereinander. Es gibt keine einfache Checkliste, die wir abarbeiten können. Um Nachhaltigkeit muss oft im Konkreten gerungen werden.

Haben Sie ein Beispiel dafür?

Keller Bestes Beispiel sind Neubauten: Diese sind sicher sinnvoll und auch gesellschaftlich gewollt. Allerdings müssen Flächenversiegelung, Verringerung der Biodiversität, und Energie- und Materialverbrauch berücksichtigt werden. Da muss man in den Diskurs gehen und das Für und Wider abwägen.

Und das kann zu Verzögerungen führen.

Keller Vor allem , wenn diese Faktoren erstmals beachtet werden. Dinge, die sich verändern, stoßen oft auch auf Gegenwehr. Man ist es nicht gewohnt, muss vielleicht neu nachdenken und gegebenenfalls auch Experten zu Rate ziehen. Ja, das kann anfangs länger dauern, aber es dient einem besseren, weil nachhaltigeren Ergebnis. Und aus diesem Grund muss es auch eine Querschnittsaufgabe sein.

Welche Aufgabe hat dann Ihre  Geschäftsstelle konkret?

Keller Wir koordinieren den gemeinsamen Weg hin zu Nachhaltigkeit, wollen ein Motor sein, der dazu animiert, dranzubleiben. Wir vermitteln Kontakte und vernetzen, geben Impulse und stehen auch beratend zur Seite. Manchmal suchen wir auch gemeinsam – niemand kennt alle Lösungen, da hilft es, sich mit Fachwissen aus unterschiedlichen Bereichen zusammenzusetzen.

Wie behält man da den Überblick?

Keller Wir haben die Ämter der Stadt angeschrieben und wollten erfahren, wie der Ist-Zustand in Sachen Nachhaltigkeit aussieht. Es gab über 430 Antworten aus fast allen Ämtern, das Ergebnis ist auch online veröffentlicht. Wir arbeiten tatsächlich an 16 der 17 weltweiten Zielen. Am Ende ist daraus der Nachhaltigkeitsbericht entstanden.

Der aber nicht nur von Düsseldorf allein gemacht worden ist?

Keller Es ist ein Pilotsystem, für das wir mit anderen Städten zusammengearbeitet haben. Das hat sehr gut funktioniert – auch, weil wir zu vorgegebenen Strukturen und Themen berichten mussten. So gab es keine Möglichkeit, sich wegducken zu können.

Was konnte man aus dem 120-seitigen Bericht noch mitnehmen?

Keller Wir haben in dem Rahmen zwölf Handlungsfelder erarbeitet, die für uns als Stadt wichtig sind und an denen wir mit hoher Priorität weiterarbeiten. Außerdem konnten wir darüber 41 Leuchtturmprojekte identifizieren, die zeigen, wie Nachhaltigkeit in Düsseldorf gelebt wird.

Zum Beispiel?

Keller Dazu zählen unter anderem die Zentren Plus als Vernetzungsstelle für Senioren, das Netzwerk Bildung für nachhaltige Entwicklung, das Projekt Essbare Stadt, die Solaroffensive bei städtischen Gebäuden, der Digihub zur Förderung von Startups mit nachhaltigen Lösungen, die Bibliothek der Dinge oder auch die Servicestelle Partizipation für junge Menschen.

Sehr viele Infos rund um das Thema Nachhaltigkeit finden sich auch auf der Webseite der Stadt.

Keller Wir versuchen, dort für die Menschen in Düsseldorf möglichst viel abzudecken. Wir erklären unter anderem die 17 Nachhaltigkeitsziele, geben Tipps was jeder selbst  beitragen kann, verlinken zu jedem Ziel auch Initiativen und Organisationen aus dem zivilgesellschaftlichen Bereich, aber auch zur Verwaltung.

Gibt es auch spezielle Infos für Menschen, die einen etwas praktischeren Einstieg suchen?

Keller Wir bieten einen Terminkalender und stellen auf Karten verschiedene Geschäfte, Läden und Vereine vor, die sich mit dem Thema Nachhaltigkeit und etwa Fair Trade beschäftigen. Diese Seiten leben auch ein wenig von Hinweisen der Nutzer, damit wir die Informationen möglichst komplett und aktuell halten können.

Hat man als Verwaltung auch eine gewisse Vorbildfunktion?

Keller Definitiv. Deshalb haben wir die Handlungsfelder Nachhaltigkeit als strategische Säulen für Düsseldorf entwickelt. Dazu gehören Nachhaltige Mobilität, Klimaschutz, Biodiversität, Nord-Süd-Zusammenarbeit, sowie der Nachhaltigkeitshaushalt. Bei diesen Themen schauen wir gemeinsam, an welchen Stellschrauben wir noch intensiver drehen müssen. Als Geschäftsstelle Nachhaltigkeit koordinieren wir den Prozess und konkret auch das Handlungsfeld „Nachhaltige Beschaffung“. Der städtische Einkauf erfolgt dezentral, mit den Kolleginnen und Kollegen haben wir uns zum Beispiel ausgiebig mit den Kriterien für nachhaltige Büromaterialien und Veranstaltungen beschäftigt. Welche Anforderungen müssen erfüllt sein, welche Siegel kann man verwenden? Ergebnisse sind auf der Webseite frei zugänglich.

Also ist Ihr Job auch recht pragmatisch?

Keller Ich bin davon überzeugt, dass Nachhaltigkeit praktisch gelebt werden muss. Viele Städte entwickeln zunächst eine Strategie mit eigenen Zielen. In Düsseldorf haben wir uns entschlossen, den Weg möglichst schnell zu starten und voranzukommen. Unsere Aufgabe ist es, dass wir weiter ambitioniert dran bleiben und wir uns nicht auf Erfolgen ausruhen.

Was beschäftigt Sie gerade am meisten?

Keller Wir beschäftigen uns gerade zum Beispiel viel mit der Fußball-Europameisterschaft im kommenden Jahr. Hier setzen wir einen großen Fokus auf Nachhaltigkeit. Wir wollen Müll möglichst vermeiden und setzen auf Mehrwegsysteme, Trinkbrunnen und Upcycling, eine barrierearme Gestaltung, eine sichere Veranstaltung, die offen ist für alle Menschen, so wie sie sind. Das Ziel ist es, für kommende Großveranstaltungen in Düsseldorf Standards für die Zukunft zu finden. Da probieren wir jetzt viel aus und bahnen damit hoffentlich neue Wege.

Müssten nicht allgemein sehr viel mehr neue Wege beschritten werden?

Keller Alle sind bei der Nachhaltigkeit gefragt. Die Industrie, aber auch die große Masse der Einzelnen. Die Frage, wie man alle zum Handeln bringt, lässt sich bislang nicht beantworten – jeder empfindet andere Dinge als normal und wichtig. Und andere als schwierig, um ständig nachhaltig zu sein. Es gibt viele positive Beispiele für Innovationen in diesem Bereich. Um nachhaltige Entwicklung zu fördern, ist es wichtig, den Blick auf diese Möglichkeiten zu richten. Dafür braucht es manchmal auch ein bisschen Mut, es einfach anders zu machen.

Julia Nemesheimer stellte die Fragen.

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