Interview Experte: „Keiner weiß genau, wie gefährlich das Coronavirus wirklich ist“

Düsseldorf · Ortwin Adams ist Professor für Virologie an der Düsseldorfer Universität und beschäftigt sich mit dem Ausbruch des neuen Coronavirus. Er warnt dringend vor Leichtfertigkeit. Denn jedes neue Virus birgt Gefahren, die schwer abzuschätzen sind.

 Ein Virologe betrachtet in einem Forschungslabor die Elektronenmikroskop-Aufnahme eines MERS-Coronavirus, einem engen Verwandten des neuartigen Coronavirus.

Ein Virologe betrachtet in einem Forschungslabor die Elektronenmikroskop-Aufnahme eines MERS-Coronavirus, einem engen Verwandten des neuartigen Coronavirus.

Foto: dpa/Arne Dedert

Herr Professor Adams, Coronaviren kennen wir auch in Deutschland schon lange. Wie unterscheidet sich denn dieses neue?

Ortwin Adams: Ganz genau wissen wir das ja noch nicht. Es gibt ganz klar eine genetische Verwandtschaft. Aber nur weil zwei Viren denselben Stammbaum haben, führen sie nicht zu identischen Erkrankungen. Kleine Veränderungen im Virus können teils dramatische Auswirkungen auf sein pathologisches Potenzial haben – also wie krank es macht.

Wovon hängt denn ab, wie krank ein Virus macht?

Adams: Oft geht es darum, ob es eher den oberen oder unteren Atemwegstrakt befällt. Das ist gerade bei dem neuen Coronavirus noch in der Diskussion. Unterer Atemtrakt heißt immer: Lunge. Diese Viren haben erst einmal ein höheres Gefahrenpotenzial. Dafür sind sie meist schwerer übertragbar.

Das heißt, man kann aus Ihrer Sicht noch nicht einschätzen, wie gefährlich das neue Virus wirklich ist?

Adams: Es gibt unterschiedliche Berichte darüber. Es scheint viele Patienten zu geben, die geringe Symptome oder sogar überhaupt keine zeigen. Die Gesamtzahl der Erkrankten scheint also kleiner zu sein, als wir es damals 2002/2003 beim Sars-Virus erlebt haben. Da starben bis zu zehn Prozent – eine sehr hohe Rate. Da scheinen wir jetzt deutlich drunter zu sein. Aber die zweite entscheidende Frage für die Gefährlichkeit eines Virus ist: Wie leicht überträgt es sich? Denn wenn der Anteil der schwer Erkrankten zwar niedrig ist, die Gesamtzahl der Infizierten aber sehr hoch, haben wir immer noch eine große Krankheitslast in der Bevölkerung.

Was ist über die Übertragung bekannt?

Adams: Es sieht so aus, dass das Coronavirus sich über Tröpfcheninfektion verbreitet und ein Infizierter zwei bis drei weitere Menschen anstecken kann. Diese Zahl steht noch nicht genau fest – ist aber eine entscheidende.

Ist es denn typisch, dass man beim Ausbruch eines neuen Virus aus dem Nichts Tausende Infizierte hat – wie jetzt in Wuhan?

Adams: Wenn es tatsächlich ein neues Virus ist, dann trifft es auf eine Bevölkerung, die immunologisch völlig unvorbereitet ist. Man hat keinerlei Abwehrkräfte dagegen. Und dann hat ein solches Virus gute Chancen, sich rasch auszubreiten. Bei Viren, gegen die viele Menschen geimpft sind, wie Masern oder Röteln ist es genau andersherum: Das Virus trifft dauernd auf geschützte Individuen und kann sich nicht verbreiten.

 Ortwin Adams ist Professor am Institut für Virologie der Uni Düsseldorf.

Ortwin Adams ist Professor am Institut für Virologie der Uni Düsseldorf.

Foto: Juliane Kinast

Wo kommt ein solches neues Virus denn überhaupt her?

Adams: Ganz genau weiß man es nicht. Bei Sars-Viren und auch diesem Virus ist die Quelle wohl das Tier. Das eigentliche Reservoir der Coronaviren scheint die Fledermaus zu sein – davon haben sie eine Vielzahl, das ist bekannt. Dann gibt es vermutlich einen Zwischenwirt – ein Nutztier auf dem Markt zum Beispiel – und dann entsteht ab und zu völlig zufällig mal ein Virus, das auf den Mensch überspringen kann.

Ist es das, was Viren so gefährlich macht: dass sie so wandlungsfähig sind?

Adams: Coronaviren sind RNA-Viren, die sich in menschlichen Zellen vermehren. Und diese Zellen machen beim Kopieren des Viren-Erbguts viele zufällige Fehler. Die allermeisten Kopierfehler verschwinden schnell, weil das Virus dann nicht funktioniert. Aber das ist ein reiner Ausleseprozess: Wenn die Mutation dem Virus Vorteile bringt und es sich etwa danach besser übertragen lässt, dann wird es sich sehr schnell durchsetzen. Diese Kopierfehler machen unsere Zellen bevorzugt bei RNA-Viren und deshalb gibt es da eine hohe Mutationsrate.

Nun wird global ein hoher Aufwand betrieben, um das Coronavirus einzudämmen. Ist das gerechtfertigt angesichts der teils leichten Verläufe?

Adams: Ja. Keiner weiß genau, wie gefährlich dieses Virus wirklich ist. Alles Neue und Unbekannte macht Angst – und zu Recht. Man möchte vorbereitet sein und nicht zu spät kommen mit Maßnahmen. So lange Details zur tatsächlichen Todesrate und Übertragbarkeit nicht bekannt sind, hat man einen Riesenrespekt. Und das ist auch richtig.

Gibt es denn die Gefahr, dass das Virus sich durch Kopierfehler weiter verändert und gefährlicher wird?

Adams: Es kann vor allem sein, dass das Virus sich weiter an den Menschen anpasst. Das muss nicht bedeuten, dass es dadurch pathogener wird – also mehr krank macht. Sogar das Gegenteil kann der Fall sein. Denn Viren wollen sich ja vor allem ausbreiten. Ein Mensch, der schwer krank ist, liegt im Bett und kann das Virus nicht weitergeben. Ein Mensch, der leicht erkrankt, geht seinen sozialen Gepflogenheiten nach und begegnet anderen Menschen. Aber mit solchen Vorhersagen muss man vorsichtig sein, denn im Einzelfall kann man komplett daneben liegen.

Und weil man nie weiß, in welche Richtung sich ein neues Virus entwickelt, ist es richtig, alles für die Eindämmung zu tun?

Adams: Genau. Selbst wenn das Virus sich nicht als extrem tödlich erweist, so ist es bei einer hohen Zahl von Infizierten dennoch global eine Gesundheitsbelastung. Und: Es trifft auch auf Menschen mit Vorerkrankungen, für die es gefährlicher ist.

Sars kam Anfang des Jahrtausends auch aus China – wie das neue Coronavirus jetzt. Kann man das erklären?

Adams: Nicht exakt. Die hohe Menschendichte spielt wohl eine Rolle und auch der Kontakt zu lebenden Tieren – zum Beispiel auf Märkten, was in Europa fast gar nicht mehr stattfindet. Dieser Kontakt schafft Austauschmöglichkeiten von Viren.

Zuletzt gab es weltweit so große Anstrengungen, die Ausbreitung eines Virus zu verhindern, bei der Schweinegrippe. Es wurde heiß diskutiert, ob das sinnvoll war. Was sagen Sie im Nachhinein?

Adams: Es war damals sicher richtig. Es war ein neues Virus, das auftauchte, und man musste erst einmal die Maßnahmen hochfahren. Als Verantwortlicher kann man ja nicht sagen: Wir lassen erst mal laufen und schauen, wie das Virus wirkt. Im Nachhinein hat man sich aber Gedanken gemacht, ob es in dem Ablauf zu viele Automatismen gab, die hinderlich dabei waren, das Ganze auch wieder herunterzufahren. Daraus hat man gelernt: Man ergreift schnell viele Maßnahmen, aber man würde jetzt auch schneller den Absprung schaffen, wenn sich zeigt, ein Virus ist doch eher harmlos. Bei der Schweinegrippe musste man letztlich auch vor der Ausbreitung kapitulieren. Es ließ sich einfach nicht aufhalten.

Was ist aus der Schweinegrippe eigentlich geworden?

Adams: Das Virus zirkuliert noch. Es hat sich weltweit ausgebreitet und es gibt jedes Jahr neue Fälle. Wir reden bloß nicht mehr viel darüber, weil es sozusagen ein normales Influenzavirus geworden ist. Es hat durchaus Tausende Tote gefordert damals – aber eben auch nicht mehr als das, was wir jährlich mit der normalen Grippewelle erleben.

Das heißt aber, Viren tauchen auch nicht auf und verschwinden wieder, sondern irgendwo sind sie dann noch und lauern? Wie Ebola, das immer wieder mal ausbricht?

Adams: Nein, so kann man das nicht sagen. Sars zum Beispiel ist weitgehend verschwunden.

So wie die Spanische Grippe auch?

Adams: Die ist weiter mutiert – während sie über 30 Jahre lang in der Bevölkerung zirkuliert ist. Dann hat sich allmählich eine immer höhere Immunität bei den Menschen entwickelt, das Virus hat sich zunehmend angepasst, und dann gab es die sehr hohen Todesraten nicht mehr. Aber es ist nicht so, dass das Virus einfach verschwunden ist. Sars ist eine andere Geschichte: Das tauchte auf, hatte ein sehr hohes tödliches Potenzial, wurde schnell eingedämmt – und da sind die Fälle auch völlig verschwunden. Das muss man bei dem neuen Virus jetzt sehen: Geht es den Sars-Weg oder breitet es sich so rasant aus, dass es nachher nicht mehr zu stoppen ist.

Bei Sars haben die Eindämmungsmaßnahmen also gegriffen?

Adams: Ja, zumindest haben sie sehr dazu beigetragen, dass es so schnell unter Kontrolle war – zusammen mit der mangelnden Fähigkeit des Virus, sich effektiv übertragen zu lassen.

Im Internet kursieren bereits Verschwörungstheorien, das Coronavirus könnte künstlich erzeugt sein – etwa von der Pharmaindustrie, die dann an dem flugs entwickelten Impfstoff verdient. Was sagen Sie als Experte zu solchen Gespinsten?

Adams: Völlig an den Haaren herbeigezogen. Man kann Viren nicht erfinden.

Killerviren im Labor zusammenbauen – das geht also gar nicht?

Adams: Es ist zumindest noch nie beschrieben worden, dass ein Virus künstlich erzeugt wurde. Man weiß heute viel über das Aussehen des Spanische-Grippe-Virus und rein theoretisch könnte man Nachahmungsversuche starten – das wäre eine echte Biowaffe. Aber mir kommt das sehr abstrus vor. Es wäre ein gigantischer Aufwand, bräuchte komplexe Versuche zur Wirksamkeit. Dass so etwas unter der Decke bleiben könnte, halte ich für komplett illusorisch.

Verdient die Pharmaindustrie denn viel Geld mit Impfungen gegen Viren?

Adams: In diesem Fall bislang überhaupt nicht, denn es gibt ja keine Impfung. Generell zeigt sich, dass die Pharmaindustrie mit Impfstoffen nicht toll verdient. Eher mit Medikamenten. Es wird an solchen Medikamenten gegen Coronaviren derzeit auch gearbeitet, in den nächsten Wochen oder Monaten werden sie aber eher nicht zur Verfügung stehen.

Was kann die Medizin im Kampf gegen Viren überhaupt leisten?

Adams: Es gibt gegen eine Reihe von Viren gute Medikamente – zum Beispiel Aids ist heutzutage sehr gut behandelbar. Für Coronaviren gibt es bisher eben nichts.

Viren bleiben also ein Buch mit vielen Siegeln für die Forschung.

Adams: Ja, gerade die leicht übertragbaren Atemwegsinfekte. Es ist nach wie vor eine große Herausforderung, da wirkungsvolle Medikamente zu finden.

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