Hohe Erwartungen Klimanotstand in Städten und was dann?

2019 haben über 40 Städte in NRW den Klimanotstand ausgerufen. Auf die symbolische Entscheidung folgten erste konkrete Konsequenzen. Nach Ansicht von Umweltschützern ist das aber bei weitem nicht genug.

Hohe Erwartungen: Klimanotstand in Städten und was dann?
Foto: dpa/Marcel Kusch

Ein Julinachmittag im Sommer 2019: Im Bielefelder Rathaus liegen Jugendliche auf dem Boden. Die Demonstranten von Fridays for Future simulieren den „Klimatod“ und blockieren den Eingang zum Ratssaal. Dort entscheiden die Kommunalpolitiker gleich, ob Bielefeld den Klimanotstand ausruft.

Einer der Demonstranten ist David Nalimov. Der 15-Jährige hofft auf ein Ja zum Klimanotstandsbeschluss: „Wir haben keine Zeit“, sagt er. Seine Stadt müsse mehr für Klimaschutz tun. Bielefeld hat sich dann für einen solchen Beschluss entschieden, genau wie 40 weitere Städte in Nordrhein-Westfalen laut einer der Liste des Klimabündnisses Hamm.

Eine einheitliche Definition, was Klimanotstand heißt, gibt es dabei allerdings nicht. Bochum will mit der Entscheidung „die Dringlichkeit klimaschutzrelevanter Belange“ untermauern, Münster „ein deutliches Zeichen“ setzen, Aachen „dem Klimaschutz einen höheren Stellenwert einräumen“, wie die Städte auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mitteilten. „Erfolg würde ich das nicht nennen“, meint David.

Der Impuls für das Ausrufen des Klimanotstandes kam vielerorts von Fridays for Future. Aber es gehe nicht um den Begriff, sagt David, sondern um Veränderungen: Die Stadt sollte die Energieversorgung komplett auf erneuerbare Energien umstellen, mehr Radwege bauen, den Plastikmüll reduzieren, die CO2-Emissionen bis 2035 um 100 Prozent reduzieren und mit einer City-Maut für weniger Autos sorgen.

Inzwischen haben die meisten Städte mit Klimanotstands-Erklärungen erste konkrete Maßnahmen beschlossen. In Aachen fahren seit Oktober sieben Elektro-Busse. Bochum will beim Neu- und Umbau von Häusern Dächer bepflanzen. Viele Städte fördern die energieeffiziente Sanierung von Gebäuden, etwa Bochum und Münster. Bielefeld will bei künftigen Bebauungsplänen Schottergärten verhindern und naturnahe Gärten fördern. Köln startet 2020 eine Solarinitiative. Düsseldorf will Radwege ausbauen und Kommunalgebäude mit Solarstrom versorgen.

Solche Maßnahmen hält Dirk Jansen vom BUND NRW für sinnvoll und notwendig. Trotzdem sagt auch er: „Das reicht hinten und vorne nicht.“ Bei all den positiven Projekten lasse Düsseldorf etwa die Flughafen-Entwicklung außen vor. Klimaschutz müsse aber bei jeder Entscheidung des Rates bedacht werden. Der BUND fordert deshalb ein neues Pflichtfeld für Beschlussvorlagen. Diese Forderung hat Köln in Teilen umgesetzt. Dort werden alle Beschlussvorlagen mit Auswirkungen auf das Klima gekennzeichnet – bei klimaschädlichen Projekten will Köln über Alternativen nachdenken. Jansen würde da gern noch weiter gehen: „Klimaschutz muss ein Veto-Kriterium sein“, sagt er, heißt: Klimaschädliche Projekte sollten standardmäßig abgelehnt werden.

Ein neues Baugebiet dürfte nach Auffassung des BUND nur mit Auflagen für Solarstrom, Dachbegrünung und Energieeffizienz genehmigt werden. In diese Richtung gehen die Pläne der Stadt Herne: Sie will alle städtischen Vorhaben im Hinblick auf die Folgen für das Klima prüfen und Standards für klimagerechte Bauprojekte entwickeln.

Bundesweit lautet das Ziel, bis 2050 klimaneutral zu werden, also keine Treibhausgase mehr auszustoßen beziehungsweise entstehende Emissionen zu kompensieren. Mit dem Ausrufen des Klimanotstandes haben viele Städte in NRW dieses Ziel nochmals unterstrichen – einige haben sich ehrgeizigere Ziele gesteckt. Düsseldorf hat zusammen mit dem Klimanotstand erklärt, bis 2035 klimaneutral werden zu wollen. Bonn hat sich im Dezember ebenfalls dazu entschieden. In Köln sieht der Fahrplan noch das Jahr 2050 vor. Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) will das Ziel aber deutlich früher erreichen.

„Die Kommunen sind eine entscheidende Größe beim Klimaschutz“, meint Jansen. Der Bund müsse zwar die Weichen stellen, zum Beispiel mit einer CO2-Bepreisung. Aber die Kommunen könnten über fürs Klima relevante Bereiche wie die Bebauung, die Energieversorgung und den öffentlichen Nahverkehr entscheiden. „Es ist höchste Zeit, dass die Kommunen aufwachen und sich an die Spitze der Klimaschutz-Bewegung setzen“, mahnt Jansen – wie die Jugendlichen von Fridays for Future. Sie wollen weiter demonstrieren, für Veränderungen in ihren Städten.

(dpa)
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