Reportage aus Chorweiler Hochhäuser gegen Wohnungsmangel? - „Häuser wie dieses? Bitte nicht!“

Köln · Die SPD fordert neue Wohnhochhäuser im Kampf gegen den Mangel an Sozialwohnungen. Fehler wie einst in Köln-Chorweiler will sie aber vermeiden. Ein Besuch.

 Der traurige Turm in der Osloer Straße ist Sinnbild für Chorweilers miserable Entwicklung.

Der traurige Turm in der Osloer Straße ist Sinnbild für Chorweilers miserable Entwicklung.

Foto: Juliane Kinast

Den grauen Turm sieht man seit mehr als fünf Kilometern, wenn man sich dem Kölner Stadtteil Chorweiler nähert: im Erdgeschoss ein Kiosk, ein orientalisches Lebensmittelgeschäft und ein Café mit verklebten Schaufenstern, darüber 23 Wohngeschosse – an fast jedem Balkon klemmt eine Satellitenschüssel, an den wenigsten Blumenkübel. David Cavo (31) schaut aus dem 14. Stock der Osloer Straße 6 auf weitere graue Waben aus Billigwohnungen im Viertel. „Ich bin hier aufgewachsen. Aber hier will doch keiner mehr wohnen“, sagt er kopfschüttelnd. Dennoch: Hochhäuser als Weg aus dem Wohnungsmangel sind immer wieder Gegenstand der politischen Debatte, aktuell fordert die SPD sie. Aber ein zweites Chorweiler will sie vermeiden. Geht das?

„Wir brauchen mehr Flexibilität, wenn wir alle Menschen unterbringen wollen“, sagt Jochen Ott, wohnungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im NRW-Landtag. „Ohne einen öffentlich geförderten Hochhaus-Bau ist der Bedarf an Sozialwohnungen in den großen Städten nicht zu decken.“ Seine Rezepte: citynahe Einzelbauten statt Riesen-Siedlungen am Stadtrand und eine soziale Durchmischung durch frei finanzierte und öffentlich geförderte Wohnungen unter einem Dach.

Auch in Chorweiler waren Menschen mit Job nicht immer die Ausnahme. Das Viertel war in den 70ern sogar der letzte Schrei: total urban und nur einen Steinwurf von grünen Wiesen entfernt, hervorragend angebunden an die Rheinmetropole. Dann kamen verschiedene Investoren, die in der Politik „Wohnungsheuschrecken“ genannt werden: Sie übernehmen die Gebäude günstig, kassieren die Miete – oft vom Amt und somit zuverlässig –, stecken aber nichts in Instandhaltung oder Modernisierung. Am wenigsten beachten sie ein gesundes Sozialgefüge.

 David Cavo ist in Chorweiler aufgewachsen – heute will er hier nicht mehr leben. Zu viel Gewalt, zu viele Suizide, zu viel Dreck.

David Cavo ist in Chorweiler aufgewachsen – heute will er hier nicht mehr leben. Zu viel Gewalt, zu viele Suizide, zu viel Dreck.

Foto: Juliane Kinast

Inzwischen ist Perspektivlosigkeit das einzig verbindende Element zwischen dem ersten und dem 23. Stock der Osloer Straße 6 – wenngleich nicht genug, um sozialen Kitt zu erzeugen. „Hier springen sie dauernd raus, manchmal drei im Monat“, sagt David Cavo. „Aber das bekommt man in der Öffentlichkeit ja gar nicht mit.“ Erst neulich sei eine Frau direkt vor der jugendlichen Tochter eines Kumpels gelandet. „Das arme Mädchen wird damit immer zu tun haben.“ Vor dem Sprung stünden bei vielen Arbeitslosigkeit, Sucht, Schulden.

Bewohner: Mit der Adresse in Chorweiler findet er nichts Neues

Cavo besucht seine Schwester im 14. Stock. Einer der beiden Aufzüge ist mal wieder seit einer Woche kaputt. Er wartet trotzdem, fährt dann langsam Geschoss für Geschoss nach oben. Das Treppenhaus ist mit Möbeln zugestellt und riecht nach Fäkalien. Kein Wunder: Die Haustür zwischen dem Klingelschild mit zig Namen und der Batterie mit zig Briefkästen schließt nicht. „Meine Schwester hat ein Baby – sie muss hier schnell wieder weg“, sagt der junge Gerüstbauer. „Das Problem ist: Mit der Adresse Osloer Straße 6 findet man nirgends eine neue Wohnung“, erklärt sein Schwager.

 Zig Namen stehen an den Klingelschildern der Osloer Straße 6.

Zig Namen stehen an den Klingelschildern der Osloer Straße 6.

Foto: Juliane Kinast

Dass es auch anders gehen kann, habe das Hochhaus gezeigt, in dem er und Cavos Schwester zuvor lebten – nur eine Ecke weiter, die Fassade zartblau gestrichen, durch die (geschlossene) Haustür blickt man in ein edles Treppenhaus mit Marmoroptik. „Da kann man vom Fußboden essen“, sagt David Cavo. Den ganzen Tag sei ein Hausmeister unterwegs, über Kameras an Vorder- und Hintertür könnten die Bewohner kontrollieren, wen sie hereinlassen. „Das ist alles Privateigentum. Deshalb musste meine Schwester auch raus – Eigenbedarf.“ Was 200 Meter und etwas Pflege ausmachen können. Hier, an der Osloer Straße, breitet sein Schwager die Arme aus und weist auf die grauen, versifften Wände. „Aber Häuser wie dieses? Bitte nicht!“

SPD hält Hochhäuser nach Wiener Modell für sinnvoll

Da stimmt SPD-Mann Ott zu. Im Visier hat er eher Projekte wie die Hochhäuser „Nördlich Colonius“ in Köln-Ehrenfeld in bester Citylage mit gefördertem Wohnraum für Studenten. „Es gibt keine Gefahr, dass da ein Ghetto entsteht“, ist er sicher. „Man muss das ortsbezogen machen.“ Und in den Innenstädten höher zu bauen, um die raren Flächen ideal zu nutzen, sei nur logisch. In Wien funktioniere das Konzept – das habe man sich mit dem Wohnungsausschuss des Landtags selbst vor Ort angesehen. Dort müssen Hochhäuser immer öffentliche Einrichtungen sowie ein Drittel günstige Wohnungen enthalten. Verwahrlosung sei kein Thema. Zumindest bislang nicht.

Stadtsoziologe Volker Eichener von der Hochschule Düsseldorf ist dennoch skeptisch: „Wir haben festgestellt: Hochhäuser sind keine humane Wohnform. Und sie funktionieren sozial nicht.“ Es gebe schon ab etwa zwölf Mietparteien keine wirklichen Nachbarschaften mehr, geschweige denn bei bis zu 100. Zudem fehle in solchen Wohnklötzen halböffentlicher Raum, für den sich alle verantwortlich fühlten – das ebne den Weg zu Vandalismus und Vermüllung. „En typisches Hochhausproblem“, so der Experte. „Und das ist nicht theoretisch, wir haben doch jahrzehntelange Erfahrung.“

Er glaubt auch nicht, dass eine soziale Durchmischung „mit der Brechstange“ eine Lösung sei: „Sie haben sofort eine Front zwischen den Mietern: denen in den Sozialwohnungen und denen in den teureren Wohnungen. Und damit haben Sie Konflikte.“ Es reichten dann nur wenige Bewohner, die den Frieden störten – etwa durch Müll oder Vandalismus –, um dafür zu sorgen, dass Mieter aus den frei finanzierten Wohnungen abwanderten. Und schon sei man wieder am Beginn einer Abwärtsspirale. Wie bei den traurigen Türmen von Chorweiler. „Das ist der falsche Weg“, ist daher der Sozialwissenschaftler sicher.

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