Historisch Als eine ganze Siedlung dem Erdboden gleichgemacht wurde

Elberfeld. · 2000 Personen mussten mitten in Wuppertal ihr Zuhause aufgeben, damit ein großes Autobahnkreuz gebaut werden konnte. Viele leiden darunter noch immer, meinen Zeitzeugen.

 Sonnborner Kreuz Michael Kühle   Sonnenapotheke links im Hintergrung die Mauer zum Sonborner Kreuz Blickrichtung Vohwinkel

Sonnborner Kreuz Michael Kühle Sonnenapotheke links im Hintergrung die Mauer zum Sonborner Kreuz Blickrichtung Vohwinkel

Foto: Fries, Stefan (fri)

Erfreulich ist die Resonanz auf das Buchprojekt über den Bau des Sonnborner Kreuzes. Ein Wuppertaler Autorenteam beschäftigt sich derzeit mit den Auswirkungen des Mammutbauwerks auf die Menschen im Stadtteil. Dabei werden Zeitzeugen gesucht. Nach einem WZ-Aufruf haben sich schon viele der damals von den Baumaßnahmen betroffenen Bürger gemeldet.

„Es sind mittlerweile 20 Interviewpartner“, berichtet Mit-Autor Johannes Beumann. Es gehe darum, die persönlichen Erinnerungen der Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Die Folgen für Sonnborn des bei seiner Eröffnung 1974 größten innerstädtischen Autobahnkreuzes waren enorm und sind bis heute spürbar. Mehr als 60 Gebäude wurden abgerissen, darunter die katholische Kirche St. Remigius. 2000 Personen mussten umgesiedelt werden. Die mehrjährigen Arbeiten zerrten an den Nerven der Bewohner.

Gartenparadies musste zugunsten des Großprojektes weichen

„Der Lärm ging oft bis tief in die Nacht und war unerträglich“, erinnert sich Michael Mühle. Er stand damals kurz vor dem Abitur und bewohnte mit seinen Eltern ein Haus an der oberen Garterlaie. „Das war vor den Bauarbeiten ein Paradies mit einem riesigen Garten“, schwärmt der heute 70-Jährige. Wo später die Autobahn die Landschaft durchpflügte, befanden sich nach seiner Aussage ausgedehnte Grünflächen. „Ich hatte dort eine wunderbare Kindheit“, so Kühle.

Mitte der 50er-Jahre bezogen seine Eltern das Haus in der Nähe des früheren Brückenbahnhofs. Das weckte schon früh die Begeisterung ihres Sohnes für die Eisenbahn. „Durch mein technisches Interesse fand ich es anfangs noch durchaus spannend, als die ersten Bagger und Lastwagen in der Nähe anrollten“, sagt Michael Kühle. Die Neugier wich aber schon bald Ernüchterung. „Den Arbeiten fiel unser halber Garten zum Opfer“, erzählt der Zeitzeuge. Besonders seine Eltern hätten unter der Entwicklung gelitten, zumal durch die Bodenbewegungen Risse im Haus entstanden seien. Schließlich entschied sich die Familie zum Umzug nach Hammerstein.

Bis heute blickt Michael Kühle mit Unmut auf die Zeit der Bauarbeiten zurück und ist damit nicht allein. „Viele alte Sonnborner haben den Verlust ihrer Heimat bis heute noch nicht verwunden“, betont er. Die Planer nahmen damals wenig Rücksicht auf die Befindlichkeiten der Bürger. Die Liste der Beispiele dafür ist lang. Ein großer Teil des alten Dorfkerns verschwand, die Sonnborner Straße wurde zur Sackgasse. Mit dem „Lockvogel“ wurde eine besonders schöne Siedlung mit alten Häusern dem Erdboden gleichgemacht. „Das sah vorher aus wie ein Freilichtmuseum“, erinnert sich Michael Kühle. Als „Katastrophe“ bezeichnet er den Abriss der katholischen Kirche, die im Bereich der heutigen Autobahnmauer stand. „Dabei wäre das mit einer besseren Planung gar nicht nötig gewesen“, findet Kühle.

Warum sich die Sonnborner nicht entschiedener gegen den Bau gewehrt haben, hat aus seiner Sicht mehrere Gründe. „Das waren andere Zeiten damals und bei den meisten Menschen war die Obrigkeitsgläubigkeit Ende der 60er-Jahre noch tief verwurzelt“, glaubt Michael Kühle. Zudem hätten die Verantwortlichen die Bewohner mit Umzügen in moderne Wohnungen sowie Abfindungen gelockt.

Auch sei das Ausmaß der Arbeiten im Vorfeld bewusst verharmlost worden. „So etwas wäre heute nicht mehr möglich, das gäbe einen Riesenaufstand“, ist sich Kühle sicher. Ärger gab es in den folgenden Jahren aber auch so genug, besonders zum Thema Lärmschutz. Erst 2008 wurde in Sonnborn die erste Lärmschutzwand gebaut.

Bei allen Problemen für die Menschen war der Bau des Sonnborner Kreuzes und der A 46 für die Verkehrsanbindung Wuppertals eine entscheidende Maßnahme. Bereits in den 50er-Jahren entstand zwischen Düsseldorf und Vohwinkel die Bundesstraße 326, um den Bereich zu entlasten. Daran schlossen sich die Planung und der Bau der B 326-Strecke zwischen Vohwinkel und Wuppertal-Nord an. Es folgte der Ausbau zur Autobahn. 1974 wurden die Arbeiten am Sonnborner Kreuz abgeschlossen.

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