Zwei Genossen, zwei Niederlagen und zwei Neuanfänge

Vor vier Monaten wurden Karin Kortmann und Michael Müller aus dem Bundestag gewählt. Und mussten sich umorientieren.

Düsseldorf. Michael Müller hat von seinem Selbstbewusstsein nicht viel eingebüßt. Ebenso wenig von seiner ausgeprägten Lust am Erklären globaler Zusammenhänge. Daran haben die Abwahl aus dem Bundestag ("Mir war schon lange klar, dass ich bei der miserablen Lage der SPD keine Chance haben würde") und das Aus als Staatssekretär im Bundesumweltministerium nichts geändert.

Der Düsseldorfer lebt weiterhin hauptsächlich in Berlin, wo er Stammgast im Theater, vor allem am Berliner Ensemble ist, und er ist nach eigenem Bekunden "voll beschäftigt": Ein Buch zum Klimawandel in den Alpen will der Ex-Fraktionsvize der SPD rasch vollenden, in großen deutschen Tages- und Wochenzeitungen schreibt er Kolumnen als Sprecher der Umwelt- und Naturschutzverbände, ein Müllersches Theaterstück ist in der Mache und die Wissenschaft buhlt laut Eigenaussage auch um den 61-Jährigen:

"Ich hab’ da mehrere Angebote, zum Beispiel von der School of Governance an der Humboldt-Universität", sagt er. Finanziell habe er mithin keine Sorgen, "das war nie mein Thema, ich hatte auch früher schon viele Angebote aus der Wirtschaft". Nach fast 27 Jahren im Bundestag stehe ihm im Übrigen das volle Ruhegeld zu.

Das alles klingt, als habe er den Abgang von der großen Politikbühne leicht verkraftet. So ist es aber nun auch wieder nicht. "Das war schon ein tiefer Einschnitt, ich bin noch immer dabei, mein Leben neu zu strukturieren."

Das politische Tagesgeschäft freilich vermisse er überhaupt nicht. "Schrecklich" sei das Geschehen in Berlin im Augenblick, es gehe nur noch um "Signalpolitik", um schnelle Botschaften: "Da werden ständig Stimmungen bedient, und das ist wirklich das Dümmste, was man in der Politik machen kann", wettert Müller. Gerade erst habe er ein Interview mit Wirtschaftsminister Brüderle von der FDP im Fernsehen gesehen, "und das war ein derart flaches Gelabber, da habe ich mich wirklich fremdgeschämt."

Seiner SPD hält er - allen auch persönlichen Enttäuschungen zum Trotz - die Treue. Warum auch nicht, gerade erst habe ihn der Bundesvorsitzende Sigmar Gabriel, sein früherer Chef im Umweltministerium, in seinen Beraterkreis berufen, erzählt Müller. Mit der Düsseldorfer SPD hingegen hat er nicht mehr viel am Hut, so er das je hatte nach 1983: "Das ist jetzt alles Sache von Karin Kortmann, da mische ich mich nicht ein."

Diese Karin Kortmann, die Düsseldorfer SPD-Vorsitzende, hört das gerne. Ihr latenter Konflikt mit Müller hat viel Gift in der Partei freigesetzt, jetzt soll es endlich friedlicher zugehen bei den Genossen: "Ich bin froh, dass keine Personalia mehr anstehen und wir uns auf die Sache konzentrieren können", sagt Kortmann.

Ihr selbst freilich fällt es nicht leicht, politisch so ganz auf das Lokale zurückgeworfen worden zu sein. Offen gibt sie zu, wie sehr sie unter dem Ende in Berlin gelitten hat. "Ich vermisse den Bundestag und noch mehr vermisse ich das Entwicklungshilfe-Ministerium", sagt sie. "Ich wusste zwar im Kopf immer, dass ich nur ein Mandat auf Zeit habe, aber ich habe gedacht, ich könne meinen Abschied selbst bestimmen." Auch dass vier ihrer fünf früheren Mitarbeiter in Düsseldorf und Berlin noch keinen neuen Job gefunden haben, "nagt an mir".

Vor kurzem hatte sie dann ein Erfolgserlebnis, als sie als Vize beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken kandidierte, und sich gegen Norbert Walter, den Ex-Chefvolkswirt der Deutschen Bank, und NRW-Minister Armin Laschet durchsetzte: "Karin, habe ich da gedacht, du kannst ja doch noch eine Wahl gewinnen."

Die Laienorganisation der Kirche ist eines von drei ehrenamtlichen Feldern, auf denen sich Kortmann jetzt engagiert, "das macht zwei Tage pro Woche aus", sagt sie. Ähnlich viel Zeit investiere sie in die Düsseldorfer SPD, diese Woche stehen sechs Termine bei den Genossen an. Und dann ist da noch die Dritte Welt, ihr Thema Nummer 1 seit jeher.

Sie arbeitet im Beirat von Misereor und im Vorstand von Care Deutschland, und natürlich wühlt sie derzeit die Tragödie von Haiti besonders auf: "Ich war viel in der Region, aber nie in Haiti. Immerhin haben wir 2009 wenigstens noch beschlossen, die Entwicklungshilfe für Haiti wieder aufzunehmen."

Leben kann sie auf Dauer von diesen Tätigkeiten nicht, das weiß sie. Für elf Jahre Bundestag stehen ihr elf Monate Übergangsgeld zu, "dann muss ich für meine Finanzen sorgen, wie jeder andere auch". Anders als Müller hat Kortmann den Gedanken, nicht nur für, sondern auch von der Politik zu leben, noch nicht aufgegeben.

Die Bundestagswahl 2013 hat sie bereits im Visier: "Dann wollen wir wieder zwei Düsseldorfer Abgeordnete stellen." Dass sie am liebsten selbst eine davon wäre, verhehlt sie nicht: "Ja, ich will wieder im Süden antreten." Mal sehen, was die SPD dazu sagt. Und die Wähler.

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