Zechgelage bei En de Canon

Volkstümlich: Jan Wellem gilt als beliebter Herrscher. Doch wie nah kamen seine Untertanen an ihn heran? Eine Analyse.

<strong>Düsseldorf. Die Düsseldorfer lieben ihren Jan Wellem. Generationen lang wurde um den barocken Fürst, der ohne sein pompöses Reiterdenkmal möglicherweise wie seine Vorgänger längst vergessen wäre, Anekdote um Anekdote gesponnen. So soll Jan Wellem sich verkleidet unters Volk gemischt, diverse arme Bauerntöchter wie der heilige Nikolaus mit einer Mitgift ausgestattet und mit seinen Künstlern regelmäßig im "En de Canon" gezecht haben. Dort soll der Kurfürst sogar ständig einen hochlehnigen geschnitzten Sessel stehen gehabt haben - samt eigenen Kristallpokal und ein Fass Drohnerwein im Keller, der mit Wasser aus der Grafenberger Quelle gemischt werden sollte. 300 Jahre später bestätigt En-de-Canon-Wirtin Jutta Schreiber diese Tradition. "Nur der eigene Sessel ist möglicherweise Legende - zumindest hat er sich nicht bis heute erhalten", sagt sie. Auch an ein großes Gemeinschaftsbesäufnis in der Gaststube mag sie nicht so recht glauben. Wahrscheinlich habe er sich mit einigen Vertrauten im Künstlerzimmer getroffen. "Dort steht nämlich noch ein alter Ofen - ansonsten gibt es im Haus keine Spuren einer frühen Heizung", begründet sie ihre These.

Nachträgliche Verklärung steigerte sich zur Volkstümlichkeit

Die viel gerühmte Volkstümlichkeit bestand zum großen Teil aus nachträglicher Verklärung. Nach seinem Tod war der Glanz des Hofes futsch - und sollte auch nie wieder kommen. In der Erinnerung der Menschen blieb ein Herrscher, der von Haus aus freundlich und leutselig war, oft eine derbe Sprache führte, dem die höfische Etikette manchmal recht lästig war - und dessen Handeln von einem gewissen Gerechtigkeitssinn geprägt war. Wegen seiner Freigiebigkeit gegenüber Armen, Witwen und Waisen musste sich Jan Wellem zu Lebzeiten sogar Vorwürfe seines Bruders Franz Ludwig, der zum Großmeister des Deutschen Ordens aufgestiegen war, anhören.

Jan Wellem fühlte sich als Herrscher von Gottes Gnaden

Als Fürst des Absolutismus fühlte sich Jan Wellem als ein von Gott berufener Herrscher - und machte dies auch deutlich. Schon bei seinem Regierungsantritt als Prinz ließ er nur eine Delegation der Landstände auf sein Schiff und weigerte sich, die übrigen von der Stadt zum Liegeplatz in Volmerswerth herbei geeilten Herren an Land zu begrüßen. Diese Distanz zu seinen unmittelbaren Untergebenen behielt Jan Wellem Zeit seines Lebens bei. Der hugenottische Chevalier de Blainville notiert in seinen Reisebeschreibungen 1705, dass die Kammerherren des Kurfürsten, wenn dieser durch die Stadt fährt, zu Fuß "wie Lakaien oder besser wie Wachtelhunde vor seinem Wagen her durch die Straßen traben müssen" - eine bissige Beschreibung des Hofzeremoniells.

Unter den Künstlern fühlte sich Jan Wellem als Mensch unter Menschen

Jan Wellem war also stets bedacht, einen gebührenden Abstand zu seinen ihm manchmal recht respektlos erscheinenden Landständen zu wahren. Unter Künstlern jedoch fühlte er sich als Mensch unter Menschen. Von den Hofbürokraten wurde diese Nähe meist mit scheelen Augen gesehen - zumal diese kurfürstliche Gunst auch mit finanziellen Vorteilen verbunden war. Als gewisse Kreise dem Bildhauer Gabriele Grupello das Lehen Mertzenich streitig machen wollten, polterte Jan Wellem in einem Brief an seinen Stadthalter: "alß weilen sie ein Haufen Esell und Idioten seindt, welche lieber den ganzen Tag sauffen, spiehlen & tabaccieren, alß sich auff sölche tugendliche & schöne Wissenschaften zu begeben."

Inkognito dem Hofzeremoniell entkommen

Der Überlieferung nach sollen sich Jan Wellem und auch seine zweite Frau Anna Maria Luisa gerne inkognito unter das Volk gemischt und sich dabei diebisch gefreut haben, wenn sie nicht erkannt wurden. Aber was heißt schon inkognito? Allenfalls die Hofleute kannten damals die Herrscher von Angesicht zu Angesicht.

Und wenn Jan Wellem zu seinen ärztlich verordneten Spaziergängen in den vor den Stadttoren gelegenen Hofgarten aufbrach, wird er das kaum mit großem Gefolge und in der Kutsche getan haben. Zudem waren Inkognito-Reisen für regierende Herrscher damals die einzige Möglichkeit, das große Hofzeremoniell zu umgehen.

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