Stadt-Teilchen Wo in Düsseldorf der Rotfuchsweg und der Hasenpfad aufeinandertreffen

Düsseldorf · Es gibt sie, diese Orte, wo Fuchs und Hase sich Gute Nacht sagen. Einer davon liegt in Wittlaer.

 Es ist ein ländlicher Ort, an dem der Rotfuchsweg und der Hasenpfad liegen.

Es ist ein ländlicher Ort, an dem der Rotfuchsweg und der Hasenpfad liegen.

Foto: Hans Hoff

Als ich die Frage gestellt bekam, wo sich denn bitteschön in Düsseldorf Fuchs und Hase gute Nacht sagen, habe ich mich erst einmal um eine Beantwortung gedrückt. Man kennt das ja, wenn man in eine gewisse Verlegenheit gerät, weil man schlichtweg wenig weiß und erst einmal Zeit schinden will. Man wiederholt dann erst einmal in gedehntem Ton die Frage. „Wo sich Fuchs und Hase gute Nacht saaaaaagen?“ So könnte das klingen. Oder man schiebt einer vermeintlichen Antwort ein umständliches „ich sag mal...“ voran oder ein  Geistreichtum vortäuschendes „Ich glaube ja...“. Im schlimmsten Fall packt man beides an den Beginn der Replik. „Ich glaube ja, ich sag mal...“ Manierismen halt.

Ich glaube ja, dass die Frage, wo sich denn Fuchs und Hase gute Nacht sagen, erst einmal die Erörterung der besonderen Persönlichkeit beider Protagonisten erfordert. Ich sag mal, Herr Fuchs und Herr Hase sind von ja von unklarem Geschlecht. Handelt es sich um zwei Personen gleichen Geschlechts? Oder treffen da unterschiedliche Chromosomen-Konstellationen aufeinander? Geht es um Herrn Fuchs und Herrn Hase oder vielleicht um Frau Fuchs und Frau Hase oder um Herrn Fuchs und Frau Hase oder...

Es steht nicht viel fest, was bei der Recherche helfen könnte, wo denn nun dieser Ort sein könnte, an dem dieses besonders zu Ostern hochaktuelle bilaterale Treffen zweier Genrevertreter in der Dämmerung über die Bühne geht. Im Brauhaus Füchschen habe ich auf der Speisekarte nachgeschaut. Dort war bei meinem Testbesuch aber kein Hase aufgelistet, nicht einmal ein falscher. Schade, wäre so schön einfach gewesen.

 WZ-Kolumnist Hans Hoff.

WZ-Kolumnist Hans Hoff.

Foto: NN

Während ich danach noch ein wenig orientierungslos durch die Altstadt wandelte, fiel mir auf, dass ich ja doch ein bisschen was von den Gesuchten weiß. Ich sage mal, es muss sich um zwei einander zugeneigte Persönlichkeiten handeln. Allein die Tatsache, dass sie einander gute Nacht sagen, schließt doch vieles von dem aus, was in der Öffentlichkeit gemeinhin das Bild dieser ungleichen Paarung geprägt hat. Kann der Fuchs so hinterlistig sein, wie man sich erzählt, wenn er doch grundlegende Höflichkeitsformen beherrscht, wenn er gar seine potentielle Jagdbeute mit dem frommen Wunsch versieht, geruhsam durch die dunklen Stunden zu kommen?

Und ist der Hase so ängstlich, wie er immer tut? Wenn er es wäre, welchen Anlass hätte er, seinem gefährlichen Bedroher eine gute Nacht zu wünschen? So etwas tut man doch nur, wenn man wenigstens von einem Mindestmaß Fürsorge getrieben wird, wenn einem nicht egal ist, wie es dem anderen wirklich geht. Ruft Kim Jong-Un zwischendrin mal bei Donald Trump an, um ihm eine gute Nacht zu wünschen? Kann man sich nicht vorstellen, allein schon wegen der Zeitverschiebung, die die beiden trennt, denn wenn der amerikanische Präsident aufsteht, geht der nordkoreanische Diktator doch schon fast wieder ins Bett.

Ich berichtete einem lieben Freund von meinen Nöten, und der redete nicht sehr lange drumherum. „Ich glaube, ich habe da was für dich“, sagte er und schickte mich ans Ende der Welt. Nun ja, nicht ganz ans Ende der Welt, aber immerhin ans Ende von Düsseldorf. Nach Wittlaer, dorthin, wo der Rhein die Stadt Richtung Norden verlässt. Dort fand ich an der Bockumer Straße die Endhaltestelle der Buslinie 760, die es möglich macht, in 83 Minuten den S-Bahnhof Ratingen Ost oder in 52 Minuten den Flughafen zu erreichen. Einladung zur Flucht, oder was?

Ansonsten war da nichts oder zumindest nicht viel, was zum Bestaunen einlädt. Ein Ortsausgangsschild, auf dem Schildermaler einen dicken roten Strich durch das Wörtchen Düsseldorf gezogen und darüber die Angabe „Duisburg 13 km“ gepackt hatten, obwohl man doch in vielleicht zweitausend Metern Entfernung unschwer die ersten Duisburger Häuser erkennen kann. Widersprüchlich. Verdächtig. Was stimmt hier nicht?

Man kennt das von spektakulären Sensationen, die groß angekündigt werden. Man erinnere sich nur mal an des Kaisers neue Kleider. Es fehlte mir nur noch ein Ansager, der groß im Tönen ist. „Wie Sie sehen, sehen Sie nichts“, würde er ausrufen.

In der Tat sah ich nichts. Also nicht wirklich nichts. Ich sah ein großes grünes Getreidefeld, ein abgestumpftes Riesendreieck, das sich dort zwischen dem Wasserwerksweg und der Bockumer Straße erstreckte, flankiert vom Feldhuhnweg. Genau hier sollte es sein, hatte der Kollege gesagt. Dann hatte er noch hinzugefügt, dass ich mich von dem großen grünen Nichts nicht täuschen lassen sollte. Da gebe es mehr als das Auge wahrnehme.

Ich glaubte sofort, zu wissen, was er meinte. Ich erinnerte mich an den kleinen Prinzen und seine Weisheit, dass man nur mit dem Herzen richtig sieht. Leider sah aber auch mein Herz nur ein großes grünes Getreidefeld, das den Blick frei ließ auf die am nahen Horizont aufragenden Industriebauten des Duisburger Südens.

Ich sinnierte noch, wie schnell aus dem Norden der einen Stadt der Süden einer anderen werden kann, als auf meinem Schlauphon eine Nachricht eintraf. Mein Freund sandte mir einen Ausschnitt aus der offiziellen Düsseldorfer Stadtkarte, und auf der entdeckte ich, was mein Auge nicht zu erblicken vermochte. Eingezeichnet ist dort nämlich mitten im getreidigen Grün der Hasenpfad, der parallel zum Wasserwerksweg Richtung Norden verläuft, wo quer zu seiner Laufrichtung der Rotfuchsweg liegt.

Ich sah auf die Karte und dann wieder aufs grüne Feld. Ich fragte mich, ob ich möglicherweise in ein Harry-Potter-Abenteuer geraten war, denn beim kleinen Meisterzauberer gibt es ja auch am Londoner Bahnhof King‘s Cross das Gleis Neundreiviertel, das nur Zauberer und Zauberlehrlinge sehen und betreten können, die ahnungslosen Normalbürger, Muggel genannt, aber nicht. War ich hier auf ein großes Geheimnis gestoßen, auf eine Art Zauberland? Würde ich gleich überrascht von Einhörnern und Feen?

Nein, ich blieb allein. Nur eine Frau, die mit ihrem Hund Gassi ging, querte meinen Weg. Ja, vom Hasenpfad habe sie mal gehört, sagte sie. Der sollte hier mal gebaut werden, dann aber wieder nicht und dann aber wieder doch. Es habe da vor einiger Zeit eine Bürgerversammlung mit viel Protest gegen das Bauvorhaben gegeben. Ein Argument sei auch gewesen, dass man die zwei Kilometer freie Fläche bis Duisburg auch künftig als Schneise für einfließende Frischluft brauche.

Ich umschritt das ganze grüne Feld, und ich sah – nichts. Kein größeres Loch, das ich als Fuchs- oder Hasenbau hätte deuten können. Allenfalls kleine Öffnungen deuteten auf rege Tätigkeit winziger Mäuse hin. Eine Traktorspur im Getreidefeld verlief etwa dort, wo im Stadtplan der Hasenpfad verzeichnet ist. Mehr aber deutete bei meinem Besuch dort nicht auf den geheimen Ort hin. Viel Grün wiegte sich im Wind, und hier und da reckte ein verirrter Rapshalm sein gelbes Köpfchen hoch übers Grün.

Als mal niemand in der Nähe war, nahm ich all meinen Mut zusammen. Ich rief laut ins Feld. „Herr Fuchs?“ „Herr Hase?“ Keine Antwort. Auch die weiblichen Anredeformen probierte ich aus, verstummte aber alsbald, als wieder ein Gassigeher nahte. Man will ja nicht als eigentümlicher Kauz gelten, der Tiernamen ins Feld ruft. Ich fragte den Hundehalter, ob ihm hier schon mal Fuchs oder Hase begegnet seien. Er schüttelte nur seinen Kopf, und ehe er anständig antworten konnte, hatte sein Hund ihn schon hinfort gezogen.

Ich blieb allein zurück am Ende der Welt. Im Niemandsland zwischen Düsseldorf und Duisburg. Irgendwann fand ich mich dann mit dem Erreichten ab. Ich beschloss an die höhere Weisheit der Stadtplanung zu glauben. Die wird schon wissen, was sie in die Stadtkarte schreibt, und wenn  dort ein Hasenpfad und ein Rotfuchsweg verzeichnet sind, dann muss es die auch in echt geben. Halt nur für mein Muggel-Auge nicht sichtbar. Eine verwunschene Welt.

Es dämmerte, und ich gab auf. Ich trabte zurück zu meinem in der Nähe geparkten Auto. Als ich wieder am Ortsausgangsschild war, blickte ich mich kurz um, und zur Sicherheit beschloss ich, höflich zu bleiben. „Gute Nacht, Frau Fuchs. Gute Nacht, Herr Hase“, murmelte ich leise und bekam natürlich keine Antwort. Es blieb ruhig am Düsseldorfer Gleis Neundreiviertel. Aber da ist mehr als das Auge zu erblicken vermag. Viel mehr.

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