Wie ein Zeichentrickfilm von Kandinsky

Die britische Theatergruppe „1927“ inszeniert „Petruschka“ und „Das Kind und der Zauberspuk“ für die Düsseldorfer Opernbühne.

Wie ein Zeichentrickfilm von Kandinsky
Foto: Hans Jörg Michel

Düsseldorf. Wie könnte ein Cartoon von Marc Chagall oder Wassily Kandinsky aussehen? Die britische Theatergruppe „1927“ hat da eine Idee. Ihre Zeichentrick-„Zauberflöte“ war ein Riesenerfolg, die Produktion war seit der Spielzeit 2013/14 schon über 80 Mal an der Deutschen Oper am Rhein zu sehen. Jetzt präsentieren die Briten ihre zweite Opernproduktion: Mit „Petruschka“ von Igor Strawinsky und „L’Enfant et les Sortilèges“ (Das Kind und der Zauberspuk) von Maurice Ravel haben die Bilderzauberer Suzanne Andrade, Esme Appleton und Paul Barritt zwei Werke gewählt, die sich für das sehr besondere Zusammenspiel von Animation und live agierenden Darstellern bestens eignen. Als Koproduktion der Komischen Oper Berlin und der Deutschen Oper am Rhein feierte die neueste Kreation Ende Januar bereits in Berlin Premiere.

Wie ein Zeichentrickfilm von Kandinsky
Foto: Iko Freese

Die Neuproduktion verbindet zwei Werke, die ihren Ursprung im Paris des frühen 20. Jahrhunderts haben: In „Petruschka“ sehnen sich drei zum Leben erweckte Jahrmarkt-Puppen nach Unabhängigkeit von ihrem sadistischen Meister. In dem Stück von Maurice Ravel erlebt ein zerstörungswütiges Kind, wie die von ihm misshandelten Gegenstände lebendig werden und sich rächen. Beide Werke beschäftigen sich auf unterschiedliche Weise mit den Themen Zurechtweisung und Manipulation, Erwachsenwerden und Emanzipierung von Zwängen und mit dem unstillbaren Drang nach Freiheit.

Bei der Premiere in Berlin agieren die Darsteller mit atemberaubender Präzision vor einer Leinwand, auf der sich das Bühnenbild als Zeichentrick-Film entfaltet. Wie schon bei der „Zauberflöte“ fließen hier die Bewegungen der Sänger und Darsteller mit den Projektionen ineinander über. Reales und Virtuelles sind manchmal nur bei näherem Hinschauen auseinander zu halten — wenn etwa die Darsteller zwischen Bild und Bühne wechseln oder sich die Sänger und Tänzer millimetergenau mit den Animationen im Film spielen.

Strawinsky hatte „Petruschka“ zunächst als Konzertmusik konzipiert. Der Ballett-Impresario Serge Diaghilev erkannte sofort die Möglichkeiten des Stücks und ließ es 1911 von seinen „Balletts Russes“ in Paris uraufführen. Es ist eine wilde Musik, die hier das Geschehen auf einem Jahrmarkt antreibt. Der Clown Petruschka (Tiago Alexandre Neta Fonseca), die Akrobatin Ptitschka (Pauliina Räsänen) und der Muskelmann Patap (Slava Volkov) lehnen sich in ihrer Zirkuswelt zwischen Kettenkarussell und Geisterbahn gegen ihren sadistischen Meister auf.

Für „Die Zauberflöte“ griffen die Regisseure auf die expressionistische Ästhetik der Filmkunst in der Weimarer Republik zurück. In „Petruschka“ lehnen sie sich an den sowjetischen Modernismus der Zwanzigerjahre an. Schräge Ebenen, große Gesten, Riesenbuchstaben auf Kyrillisch: Es ist, als ob Marc Chagall oder Wassily Kandinsky einen Zeichentrickfilm gedreht hätten.

In Ravels „L’enfant“ kämpfen ein wilder Junge und seine Mutter um die Hoheit im Kinderzimmer. Der Kind treibt das Geschehen auf die Spitze, zertrümmert Möbel, quält Tiere, verweigert sich. „Ich bin böse und frei!“, ruft es seine Rebellion aus. Die beschädigten Objekte — Uhr, Teekanne und Tapete — schlagen zurück, es wird ein Alptraum, aus dem der Junge erst durch das Mitgefühl für ein verletztes Eichhörnchen erwacht.

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