Kunstsammler Wie der Steuerberater Willi Kemp zum Kunstmäzen wurde

Der Düsseldorfer Sammler berichtet auf 888 Seiten und zwei Bänden von seinem „Dialog mit der Kunst“.

 Willi Kemp mit seiner Lebensgefährtin und Lektorin Ursula Kaechele, 2018 im Kunstpalast.

Willi Kemp mit seiner Lebensgefährtin und Lektorin Ursula Kaechele, 2018 im Kunstpalast.

Foto: Melanie Zanin (c) Kunstpalast/Melanie Zanin

Willi Kemp (92) ist ein Glück für Düsseldorf. Er überlässt nicht nur eine hochkarätige Sammlung von 1200 Originalen und 1300 Grafiken dem Kunstpalast, sondern er kommentiert sie auch. Wenn er schon seine Millionen-Werte verschenkt, dann soll die Nachwelt auch wissen, wie sie zu interpretieren sind. Jetzt kommt ein neuer Doppelband heraus, „Im Dialog mit der Kunst“ heißt es auf 888 Seiten. Die Publikation wird von einer Auswahl seiner Stücke im Kunstpalast begleitet.

In Kurzschrift notierte er „Urnotizen“ mit Künstlern

Diesmal handelt es sich nicht nur um akribisch geführte „Urnotizen“, in denen er den Leser an den Höhen und Tiefen seiner Schätze teilnehmen lässt, sondern auch um eine sehr sympathische Konfession eines leidenschaftlichen Mannes. Mit 13 Jahren hatte er die Kurzschrift erlernt, seitdem schrieb er jahrzehntelang alles, was er für wichtig hält, mit diesen Fliegenbeinen auf, versah es mit dem Datum und dem Ort der Handlung, und bewahrte es auf. 1987 holte er das Material aus den Schubladen hervor, entzifferte das Gekritzel, übertrug es auf seinen Computer und warf die Urnotizen anschließend weg.

Der Doppelband, diesmal in feurigem Rot, zeigt einen Menschen, der sich mit Haut und Haar der Kunst verschrieben hat. Er rekapituliert zugleich sein gemeinsames Leben zunächst mit seiner inzwischen verstorbenen Frau Ingrid, einer gestrengen, sparsamen „Preußin“, und ab 1993 mit seiner Lebensgefährtin und Künstlerin Ursula Kaechele.

1955 zog Kemp nach Düsseldorf, trat dem Düsseldorfer Fotoclub dfc bei und lernte, seine eigenen Aufnahmen selbst zu vergrößern. Damit wurde er zugleich ein Zeitzeuge mit der Kamera. Im Übrigen studierte er Betriebswirtschaft und besuchte einige Seminare in der Parapsychologie, um seine eigenen Tiefenschichten kennenzulernen, wie er sagt, und entwickelte mit 29 Jahren ein Interesse vor allem für abstrakte Kunst.

Sein Aha-Erlebnis hatte er 1960 in New York, wo er durch die Museen streifte. Seine Mentoren wurden Bernard und Ursula Schultze. Während er ein gefragter Steuerberater wurde, wuchs er zugleich in die Szene hinein. So hörte er 1962 erstmals von Carlfriedrich Claus, der im Erzgebirge lebte und seinen Lebensunterhalt durch das Kopieren von Noten verdiente.

Blätter von Carlfriedich Claus schummelte er über die Grenze

Im Jahr darauf zeigte die Kunsthalle Baden-Baden unter Dietrich Mahlow die ersten zehn Blätter, und Kemp fuhr mit der Eisenbahn zu Mahlow, zahlte 350 Mark und verabredete sich 1965 im Wartesaal des Bahnhofs Friedrichstraße mit dem Künstler. Seine Frau trug tausend D-Mark am Körper versteckt über die deutsch-deutsche Grenze. Die ersten drei Arbeiten konnte er dafür kaufen, die vierte, „Allegorie einer Analyse“, hatte Claus für Kemp gezeichnet und gewidmet, um sie ihm zu schenken. Auf der Rückfahrt mit der S-Bahn wurde Kemp kontrolliert und deklarierte die Zeichnungen als Kritzeleien der Kinder von Freunden. Carlfriedrich Claus starb 1998. Sein Nachlass liegt heute in den Kunstmuseen Chemnitz.

Kemp hat Kunst nicht nur bezahlt, sondern erlebt. Jede Erwerbung war ein Ereignis, bei dem die schon bestehenden Werke in der Wohnung umgehängt werden mussten. Immer wieder schreibt er, wie es zum Kauf kam, wobei auch unerwartete Tiefschläge dazu gehörten.

Der frisch erworbene Manzoni etwa entpuppte sich als Fälschung. Und Galeristen entlarvten sich selbst, wenn sie dem Sammler angesichts eines Kenneth Noland jegliches Kunstgespür absprachen. Außerdem waren die Reisen nicht so einfach wie heute. So konnte es passieren, dass eine Leinwand während des Heimtransportes bei voller Fahrt vom Dach des Autos auf die Autobahn fiel.

Er feilschte wie ein Kesselflicker um Graubners besten Bilder

Es gibt Passagen in den Büchern, die auch das Milieu der Künstler erhellen, wenn er seinen Aufenthalt bei Fritz und Hildegard Schwegler in Breech beschrieb, wo er die Sammlung von Küchengeräten und im Obstgarten die Apfel-, Pflaumen- und Mirabellenbäume kennenlernte.

Er wurde Trauzeuge von Raimund Girke, verwaltete den Nachlass von Carl Buchheister, dessen Werkverzeichnis er herausgab. Und er feilschte wie ein Kesselflicker mit dem Maler Gotthard Graubner um die besten Bilder, die er für seine Beratungstätigkeit anfangs alle viereinhalb Jahre, später alle acht Jahre bekam.

Alles in allem also eine köstliche und zugleich informative Lektüre eines hell wachen Zeitgenossen und eines großen Mäzens in Düsseldorf.

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