Wie Darsteller in wilde Kerle verwandelt werden

Tatjana Ivschina entwirft die Kostüme für die Produktion „Wo die wilden Kerle wohnen“ an der Oper.

Szene aus der Bühnenfassung des Bilderbuchklassikers „Wo die wilden Kerle wohnen“ der Oper.

Szene aus der Bühnenfassung des Bilderbuchklassikers „Wo die wilden Kerle wohnen“ der Oper.

Foto: Mara Monetti

Seit Jahren lässt Tatjana Ivschina Kinderaugen leuchten — und auch die mancher Erwachsener. Denn sie entwirft an der Deutschen Oper am Rhein die Kostüme für jene Produktionen, die für junges Publikum gedacht sind. Dort darf es noch etwas Fantastischer zugehen als auf der Bühne für Inszenierungen, die sich an das erwachsene Publikum richten. Ivschinas jüngste Arbeit sind tierische Anzüge für das Stück „Wo die wilden Kerle wohnen.“

Oliver Knussens fantastische Oper für Kinder ab sechs Jahren basiert auf einem Kinderbuch von Maurice Sendak und führt den kleinen Max auf eine Traumreise ins schaurig-schöne Reich der Fantasie. Dort begegnet er den „wilden Kerlen“ — seltsamen Kreaturen, mit denen Max ungeheuerliche Abenteuer erlebt.

„Ich versuche für jedes Stück eine eigene Sprache zu finden“, sagt Ivschina, die schon vor Jahrzehnten aus Usbekistan nach Deutschland kam, um in Offenbach an der Hochschule für Gestaltung Bildende Kunst zu studieren. Und da sei es zunächst egal, ob sie Kostüme für Kinder- oder Erwachsenen-Inszenierungen gestalte. Jedoch: „Kinderproduktionen bieten noch mehr Raum für Fantasie.“ Wichtig sei es aber auch hier, dass das (junge) Publikum sehr ernst genommen wird.

Entsprechend viel Mühe gibt sich Ivschina mit ihren Entwürfen. „Manchmal denke ich, dass Kostüme für Kinder noch viel aufwendiger sind als für ein Wagner-Stück“, bekennt Ivschina, die zum Beispiel vor sieben Jahren bei dem Märchen von der „Prinzessin auf der Erbse“ die schönsten Kissen und Matratzen herbei zauberte. „Ich bin sehr detailverliebt. Und bei Kinderstücken öffnet sich immer eine große Welt.“

Ivschina arbeitet nun zusammen mit dem jungen Regisseur Philipp Westerbarkei, der beispielsweise bekannt ist für seine „Zauberflöte für Kinder“, die seit 2014/2015 an der Rheinoper auf dem Spielplan steht. „Das ist eine total schöne Zusammenarbeit“, sagt Ivschina. „Wir haben hier gemeinsam unsere Welt erfunden, denn die Musik hat uns noch einmal etwas anderes gesagt als der Text.“

Da wachsen die wilden Kerle buchstäblich aus den Menschen heraus. Tatjana Ivschina holt in unserem Gespräch große Papierbilder hervor, auf denen zu sehen ist, wie sich der kleine Junge Schritt für Schritt in einen Wolf verwandelt. Die Mutter wird zum Löwen mit Tatzen und Löwenkopf. Und es gibt auch witzig-groteske Verwandlungen. Zum Beispiel mutiert ein Onkel, der immer sehr eitel wirkt, hier nun zu einem Ziegen-Kerl — mit Ziegenbart und Horn. Der Butler wird unterdessen zur Fledermaus.

Es kommt auch eine alte Tante vor, die von einem Mann dargestellt wird. Diese verwandelt sich sukzessive in ein Huhn. Manche Kostüme seien echte Kunstwerke geworden, sagt Ivschina. Beispielsweise sei die gelbe Hühnerkralle der Tante zunächst ein gelber Damenschuh mit Absatz, aus dem ganz langsam etwas herauswächst. Und beinnahe unauffällig gehe die Metamorphose über die Bühne. „Manchmal müssen die Verwandlungen aber auch ganz schnell gehen, dann ist die Technik stark gefordert.“

Von Umbauten während der Vorstellung dürfen die jungen Zuschauer durchaus etwas merken. „Wir wollen mit den offenen Umbauten erreichen, dass die Kinder mitgenommen werden“, erklärt Ivschina. Ein Hauch von Geheimnis solle aber dennoch bestehen bleiben.

Die Premiere in Duisburg ist schon gelaufen, die in Düsseldorf folgt jetzt, aber fertige Produktionen lassen Ivschina ohnehin eher kalt. „Das ist für mich weniger wichtig als der Weg dorthin.“ In ganz Europa ist sie als Kostümgestalterin unterwegs. Viele zentrale Werke des Opernrepertoires wie Richard Wagners „Parsifal“, „Tristan und Isolde“, Verdis „Falstaff“, „Rigoletto“, Strauss’ „Der Rosenkavalier“ und „Capriccio“, Leoncavallos „Pagliacci“, Rameaus „Platée“, Webers „Freischütz“ sowie einen umfangreichen Mozart-Zyklus realisierte sie mit dem international bekannten Regisseur Anthony Pilavachi.

Seit 2009 ist sie an allen Kinder- und Jugend-Produktionen beteiligt, darunter „Robin Hood“ und „Ronja Räubertochter“. Auch für die nächste Spielzeit steht Ivschina dem Haus zur Verfügung. Dann geht es wohl um eine Oper fürs erwachsene Publikum:. „Es wird nicht bei der Kinderoper bleiben.“ Mehr darf sie noch nicht verraten. Doch auch unter Erwachsenen ist Ivschina schon bekannt. Denn fantasievolle Kostüme kommen nicht nur bei Kleinen an: „Ich erhalte manchmal ganz rührende Briefe auch von älteren Leuten.“

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