Stadtteilchen Wenn die Stadt alles dafür tut, dass man sie nicht verlassen kann

Eine Geschichte darüber wie schwer es Düsseldorf einem machen kann die Stadt zu verlassen, mit Bahnverspätungen und ausfallenden Zügen in den Hauptrollen.

Stadtteilchen: Wenn die Stadt alles dafür tut, dass man sie nicht verlassen kann
Foto: Sergej Lepke

Düsseldorf ist eine eifersüchtige Partnerin. Doch, ich bin mir ganz sicher. Die Stadt klammert sich an mich, sie will mich kontrollieren, und sie will es mir besonders schwer machen, wenn ich mit Abwanderungsgedanken schwanger gehe. Das mag meine Freundin nicht. Es ist nicht so, als nähte sie mir am Morgen des Abschieds die Hosenbeine zu und versteckte meine Schlüssel. Nein, so doof ist Düsseldorf nicht. Düsseldorf ist viel subtiler unterwegs, viel gemeiner. Eifersüchtig eben.

Doch, doch, ich habe das in der vergangenen Woche erlebt. Da musste ich am Dienstag kurz nach London, für eine Nacht nur. Danach hatte ich noch einen Termin Dortmund. Was soll ich sagen, Düsseldorf gefiel das nicht.

Ich merkte das schon am Bilker Bahnhof. Da knallte mir meine mich über alles liebende Stadt mal flott eine Verspätung von zwölf Minuten in den Reiseplan. Kann man machen, dachte ich, und ich lächelte, weil ich den Stein, den mir mein Düsseldorf da in den Weg legte, als kleinen Liebesbeweis interpretierte. Ich ahnte nicht, dass das nur der Anfang sein würde.

Ich hatte also Zeit, mir den Bilker Bahnhof anzuschauen, seine Tristesse einzuatmen, diese unvergleichliche Mischung aus dem grauesten Grau und dem dreckigsten Dreck. Ich spürte Mitleid für die Menschen, die hier jeden Tag warten müssen.

Es ging weiter in der S-Bahn. Die Sitze dort drinnen waren mal blau, aber aufgrund ihres abgewetzten Zustandes geben sie mittlerweile nur noch eine Ahnung ihres Ursprungszustandes her. Aber sie passen zum Interieur, denn die Böden sind von jenem Grau, das nicht abwetzen kann, weil es schon so eingebaut wurde. Alles hier drin atmet die Geschichte schwerer Beanspruchung. Die Lichter an der Decke sind so vergilbt, als seien hier jahrelang nur Raucher transportiert worden. Das schwere Schleifen des Zuges, wenn er anfährt, hat etwas Ächzendes, es klingt, als wolle da jemand nicht mehr.

Ich bin trotzdem guten Mutes, mein Ziel noch pünktlich zu erreichen. Als Profi, der ich bin, habe ich einen Zeitpuffer einkalkuliert. Zwölf Minuten schluckt der locker. Dann aber plötzlich die Ansage vom Fahrer. Weil man schon so viel Verspätung habe, wende dieser Zug in Unterrath. Wer zum Flughafen wolle, steige bitte dort aus und warte auf die nächste S-Bahn. Wow! Darauf muss man erst einmal kommen, die Menschen einfach rauszuschmeißen und nicht zu ihrem vereinbarten Ziel zu bringen. Kann man ja nicht ahnen, dass Menschen in einer Flughafen-S-Bahn unter Termindruck stehen. Schweißausbruch. Jetzt gerät auch mein mit Luft ausgestatteter Plan ins Wanken. Düsseldorf, du fieses Stück. Muss das sein?

Ich stehe verunsichert herum auf dem Bahnsteig in Unterrath, der, um es vornehm zu sagen, auch nicht zu den schönsten der Republik zählt. Irgendwann kommt dann doch noch die Folgebahn, und als wir endlich im Terminal einlaufen, renne ich wie ein Irrer zum Abflug B.

Prompt folgt die nächste Schikane meiner Partnerin, die mich nicht gehen lassen will. Eine Tafel informiert mich, dass die Wartezeit vor der Sicherheitsschleuse in Terminal A und C jeweils drei Minuten beträgt, die für B leider 15 Minuten. Mist! Panik! Ich beschleunige meinen Schritt, überhole in olympiareifem Tempo ein paar Mitreisende, hetze die Treppen hoch und stehe ----- vor einer gänzlich leeren Sicherheitsschleuse. Wieder so ein Trick der Xanthippe Düsseldorf. Ein paar gelangweilte Mitarbeiter winken mich sofort durch. Einer muss mich abtasten und wundert sich wahrscheinlich über meine Schweißflecken. Ich murmele „S-Bahn“ und „Düsseldorf“ und „Eifersucht“, und irgendwie scheint er mich zu verstehen.

Ich schaffe dann doch noch den pünktlichen Abflug, alles geht glatt in der Luft und in London. Da weiß ich noch nicht, dass meine Partnerin nachtragend ist. Sehr nachtragend. Sie macht mir das sehr deutlich, als ich am Mittwoch zurückkehre. Da liefert mich die Fluglinie überpünktlich ab, so dass ich gleich Hoffnung hege, meinen Anschlusstermin in Dortmund in aller Seelenruhe wahrnehmen zu können, aber dann ist mal wieder der Skytrain defekt. Düsseldorf, du hysterische Geliebte!

Ich nehme es immer noch gelassen und bekomme die Chance, zu spüren, wie es ist, bei beinahe 30 Grad mit vielen anderen müden Menschen in einem Gelenkbus übers Flughafengelände zu düsen. Da gibt es mehr Körperkontakt als in mancher Animationsanlage am Ballermann. Leider unfreiwillig.

Am Flughafenbahnhof bereitet mir mein Düsseldorf natürlich den perfekten Empfang. Der eingeplante Zug, den ich mit dem Skytrain locker erreicht hätte, ist natürlich überpünktlich abgefahren. Ich meine kurz, meine eifersüchtige Partnerin gehässig auflachen zu hören. Siehste, das hast du davon, wenn du mich allein lässt, scheint sie zu signalisieren und spendiert dem nächsten Zug gleich mal 15 Minuten Extraverspätung.

Ich seufze und will mich wenigstens mit einem Getränk trösten. Ich werfe eine Münze in den Automaten, um ein Wasser zu ziehen. Leider leer, sagt der Automat. Na gut, dann die Cola-Brause. Leider auch leer.

Um es kurz zu machen. Meine geliebte Heimatstadt hat es geschafft, mir eine Lektion zu erteilen. Ich komme irgendwie verspätet zu meinem Termin in Dortmund und lande irgendwann nach Mitternacht wieder auf dem Düsseldorfer Hauptbahnhof, wo mir natürlich die Anschluss-S-Bahn vor der Nase wegfährt, was mich kaum mehr wundert.

Ich schlafe sehr unruhig in der folgenden Nacht, und ja, ich habe jetzt kapiert. Liebes Düsseldorf, ich lasse dich so schnell nicht wieder allein. Ich weiß, dass du dich unsicher fühlst, wenn du glaubst, ich wolle dich verlassen. Tue ich so schnell nicht wieder. Ich kenne jetzt deine Tricks, ich weiß, zu was du fähig bist. Ich bleibe künftig hier. Man muss wissen, wenn man verloren hat.

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