Was es heißt, ein Mensch zu bleiben

Regisseur Evgeny Titov will Arthur Millers „Hexenjagd“ als existenzielle Parabel inszenieren.

Was es heißt, ein Mensch zu bleiben
Foto: Sergej Lepke

Düsseldorf. „Wann bekommt man schon so eine Chance?“ Begeistert berichtet Evgeny Titov von seinen Verhandlungen mit dem Düsseldorfer Schauspielhaus. Die Worte sprudeln aus ihm hervor mit einem Akzent, der seine Stationen in St. Petersburg und Wien verrät. Der 1980 in Russland geborene Schauspieler, der am Max Reinhardt Seminar sein Regiestudium erst kürzlich beendet hat, wird an einem der größten deutschen Theater engagiert, um Arthur Millers „Hexenjagd“ auf die Bühne zu bringen — mit einem Ensemble von 14 Schauspielern, Premiere ist Samstag.

Titov ist beeindruckt, aber nicht eingeschüchtert. Als Regisseur sei er unerfahren, doch 15 Jahre als Schauspieler reichen, um zu erkennen, was in seinen Arbeiten „Evgeny“ sei und was nicht“, so sieht er das. Er schildert seinen Schrecken, als er erfährt, dass sein Professor am Wiener Seminar, Martin Kusej, zudem Intendant am Residenz Theater in München, fast gleichzeitig das Stück an der Burg inszenierte. Im März hat sich Titov den Abend angeschaut. „Ich hatte meine Vision zu Ende gedacht und innerlich abgeschlossen. Es hat mir nicht geschadet“, erklärt er selbstbewusst.

Seine Vision habe wenig zu tun mit der Kommunistenhatz in der McCarthy-Ära, die Miller 1953 im Sinn hatte, als er über diese historische Hexenjagd von 1692 in Salem schrieb. Sein Blick sei dunkel, tief und psychologisch, sagt Titov. Die Gewalt auf der Bühne zu zeigen, davor schrecke er nicht zurück. „Die Frage ist, wie man ein Mensch bleiben kann, wenn die Welt sich um einen radikalisiert? Was passiert mit dem Individuum, wenn alle anderen zum Rudel werden?“ Parallelen zur aktuellen Lage in den USA wird Titov nicht ziehen. „Es geht um Fanatismus und Hysterie, ich sehe das als eine existenzielle Parabel.“ Im Central hat er sich dafür einen Unort bauen lassen. Die schmuddeligen Fliesen führen die Gedanken in ein Schlachthaus, ein Gefängnis oder ein Schwimmbad. Weder Zeit noch Ort sind bestimmt. Bei der Besetzung war ihm wichtig, dass die Sklavin Tituba von einer farbigen Schauspielerin dargestellt wird. „Miller hat sich etwas dabei gedacht, dass es nur eine Schwarze unter den Beschuldigten gibt. Vier Mädchen sagen das Gleiche aus, aber nur eine wird vernichtet.“ Im Ensemble gab es niemanden, den er hätte einsetzen können. Bianca Twagiramungu spielt zurzeit im „Sommernachtstraum“ der Bürgerbühne, sie hat die Rolle in der „Hexenjagd“ übernommen.

Titov weiß um die Debatte, wenn es um das so genannte Blackface auf der Bühne geht. Um Weiße, die sich als Schwarze schminken, um den Vorwurf des Rassismus’ und die Forderung nach freier Kunst. Alles, was fremd ist, müsse raus — diese Haltung führe in den Faschismus. Er will diese Gewalt und Grausamkeit im Stück sichtbar machen. Nicht als Mittel zum Zweck, sondern als Weg zur Katharsis — der Theatermann holt weit aus und zitiert Aristoteles. Wie er setzt Titov auf Mitleid und Furcht.

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