Stadt-Teilchen Was das Weihnachtsgeschäft in Düsseldorf mit Licht und Dunkelheit zu tun hat

Düsseldorf · Die sechste Jahreszeit in Düsseldorf heißt „Kaufrausch“: Unser Gastautor Hans Hoff beschreibt die wirtschaftlichen und ästhetischen Vorteile der dunklen Jahreszeit.

 Unterbilk bei Nacht ist bunt.

Unterbilk bei Nacht ist bunt.

Foto: Hans Hoff

Es stehen ja nun überall Nadelbäume herum, die für vorweihnachtliche Stimmung sorgen sollen. Festlich illuminiert erinnern sie den Bürger, dass es nun langsam an der Zeit ist, seine Geldbörse zu öffnen und der heimischen Wirtschaft einen Umsatzschub zu bescheren. Was wären wir ohne vorweihnachtlichen Konsumschub? Wahrscheinlich fiele das Bruttosozialprodukt der Stadt in Windeseile hinter den Wert von Bamako in Mali zurück. Nicht auszudenken, was dann geschähe. Verarmte Kö-Händler müssten ihren Drittwagen abschaffen, und auswärtige Besucher mit prall gefüllten Portemonnaies irrten orientierungslos über die von der Prachtstraße zur Armengasse geschrumpften Konsummeile. Nicht auszudenken.

Es ist also wichtig, dass die aus dem Bergischen herbeigeschafften Weihnachtsnadler ihren Dienst tun, dass auch die Kö-Bäume ihre Lämpchen anknipsen, denn Licht ist extrem wichtig für die Bereitschaft, Geld auszugeben. Es muss aber unbedingt künstliches Licht sein. Nach meiner Theorie hilft natürliches Licht kaum, den Drang der Menschen nach mehr zu fördern. Auf jeden Fall kann ich mir nicht anders erklären, dass die Wirtschaft im Sommer keinen nennenswerten Aufschwung durch Privatkonsum nimmt, dass die Menschen in der sonnigen Zeit kaum an größere Anschaffungen denken und stattdessen im Draußencafé den lieben Gott einen guten Mann sein lassen.

Ich wage gar die Theorie, dass Düsseldorf nicht Düsseldorf wäre, hätten wir immerzu Sommer, immerzu Licht bis 22 Uhr. Das würde zwar die Menschen hierzustadt glücklicher machen, aber für die Wirtschaft wäre es Gift.

 WZ-Kolumnist Hans Hoff.

WZ-Kolumnist Hans Hoff.

Foto: NN

Deshalb ist es gut, dass die Natur auch diese (neben Karneval) sechste Jahreszeit eingeführt hat. Sie liegt zwischen der Herbstmitte und dem Jahresende und heißt ab heute Kaufrausch. Die offizielle Reihenfolge lautet also nun Frühling, Sommer, Herbst, Kaufrausch, Karneval, Winter.

Ist natürlich Quatsch, aber man kommt auf solche Gedanken, wenn man sieht, wie die Stadt leuchtet. Ich persönlich brauche ja keine Weihnachtsbäume und auch keine sie umgebenden Märkte. Ich bin alt, ich habe alles, ich brauche wenig. Ich kann mich auch abseits des Umsatzstrudels fein treiben lassen von den Lichtfluten, die sich des Abends ergießen.

Kürzlich stand ich abends vor dem Stadttor und schaute auf die untenliegenden Straßen herunter. Die kenne ich seit Ewigkeiten. Ich habe sie tausend Mal schon gesehen, bin auf ihnen von hier nach da gefahren, und nie haben sie mir irgendetwas gesagt. Man kennt das ja, dass man das Alltägliche einfach so hinnimmt, es quasi durch sich hindurch fluten lässt. Alles, was immer ist, gehört in den Bereich des Unspektakulären.

Es hilft dann, wenn man mal die Perspektive wechselt. Bei mir geschah das, als ich die Straße unter mir durchs Geländer betrachtete. Auf einmal wurde aus dem diffusen Verkehrsgewimmel ein strukturiertes Etwas, eine Art Gemälde voller Farben.

Es war ein regenfeuchter Abend, weshalb sich die Lichter der Ampeln auf dem Asphalt spiegelten. Das Rot der Ampeln wurde von der Straße aufgesogen und wieder ausgestoßen, und die Laternen lieferten eine zwischen Gelb und Orange oszillierende Melange. Aus der Ferne leuchtete das Weiß, das in Häusern signalisiert, wenn jemand daheim ist. In einem Fenster tanzte ein besonderes Blau. Die wunderbare Joni Mitchell hat das mal toll in Worte gefasst, als sie von TV-blue Windows“ sang.

Ich ahnte, dass hinter diesen TV-blauen Fenstern gerade Menschen ihr Dasein mit Zweithandeindrücken erträglich machen und fühlte mich augenblicklich erhaben, weil ich ja quasi direkt an der Quelle stand. Ich hatte einen festlich illuminierten Weihnachtsbaum vor mir – in Form einer beleuchteten Straße. So simpel ist das manchmal. Man kann sich aus dem, was einen sonst einfach durchströmt, eine kleine Sensation basteln.

Es gibt ja Menschen, die in diesen Tagen jammern, dass es immer so früh dunkel wird. Aber mal ganz ehrlich: Ist die dunkle Zeit nicht die viel schönere? Wer braucht jetzt, da die letzten Bäume ihre Blätter verlieren und all ihre Leuchtkraft einbüßen, diese mausgrauen Tage, diese verwaschenen Stunden, in denen man Angst bekommt, sich gleich aufzulösen und der November-Melancholie anheimzufallen?

Wie viel schöner ist die Nacht, wenn alles leuchtet. Ein Gang an den nächtlichen Rhein ist da ein kleines Fest für die Augen. Wie Düsseldorf leuchtet! Alles leuchtet, und jede Farbe ist vertreten. Oben auf dem Rheinturm das satte Lila, das Rot der Ergo-Werbung, das Weiß der Ufer-Illuminierung, das sich ins Riesenrad zu ergießen scheint, das aber auch violette Anteile in sich trägt. Die wirft es dann als Reflexion auf die Wasseroberfläche des Rheins.

Das ist atemberaubend und so schön, dass ich an jenem Abend glatt vergessen habe, Wünsche zu haben. Ich werde trotzdem einkaufen gehen, für Umsatz sorgen. Danach kehre ich zurück an die Stellen, an denen Düsseldorf so schön leuchtet.

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