Interview Verdrängung durch hohe Mietpreise: „Düsseldorf droht der Verlust der Mitte“

Düsseldorf · Am 29. und 30. Juni ist „Tag der Architektur“ in NRW. Düsseldorf beteiligt sich allerdings nur mit acht Projekten. Wir sprachen mit dem Hauptgeschäftsführer der Architektenkammer, Markus Lehrmann.

 Bis auf dem Gelände der Glashütte Wohnungen stehen, dauert es noch länger: Das reine Grundstück ist immer wieder gewinnbringend verkauft worden

Bis auf dem Gelände der Glashütte Wohnungen stehen, dauert es noch länger: Das reine Grundstück ist immer wieder gewinnbringend verkauft worden

Foto: Patrizia

2010 wurden 551 Projekte bei den „Tagen der Architektur“ in NRW vorgestellt. Diesmal sind es nur noch 170 Beiträge, bei 31 000 Architekten. In Düsseldorf sind gar sechs von acht Projekten Umbauten. Ist das der Abgesang dieses Ereignisses?

Markus Lehrmann: Architekturbüros haben im Moment Hochkonjunktur. Das ist eine sehr gute Ausgangsbasis. Und angesichts des gravierenden Flächenmangels ist der Umbau unserer Städte und Gemeinde eine ganz zentrale Aufgabe.

 Markus Lehrmann ist Hauptgeschäftsführer der Architektenkammer.

Markus Lehrmann ist Hauptgeschäftsführer der Architektenkammer.

Foto: T.Saltmann (c) AKNW/T.Saltmann

Es wird nicht nur umgebaut, sondern massenhaft gebaut. Meistens erstellen die Wohnungsbaugesellschaften nur noch einheitliche „Typenwohnungen“. Das spart Zeit beim Genehmigungsvorgang und Geld bei den Architektenhonoraren.

Lehrmann: Harald Deilmann, der Architekt des Fernsehturms, sagte, ein Entwurf sei immer ein exemplarisches Unikat. Es ist ja nicht wie im Automobilbau, wo man von einem Modell viele Stücke herstellt.

Ein Unikat ist noch kein Teil eines Ensembles von hoher Qualität. Der Berliner Architekt Hans Kollhoff prägte den deprimierenden Satz: „Wir können die Stadt, die wir lieben, nicht mehr bauen.“ Ist das so?

Lehrmann: Das Planen und Bauen ist heute in der Tat sehr eingeschränkt. Der Architekt muss mit den Eigentumsrechten, mit den Interessen des privaten Eigentümers ringen, weil der Bauherr sich nur noch selten der Allgemeinheit verpflichtet fühlt. Eine gute Stadtentwicklung gelingt aber nur, wenn sich ein Gebäude in seine Umgebung einfügt, wenn sich einzelne Bauwerke zu einem Quartier und schließlich zu einer Stadt fügen. Ich würde aber nicht sagen, dass es unmöglich ist. Im Medienhafen haben wir ein Beispiel, wie so ein geplantes Viertel heute sehr gut funktioniert.

Nun wird allerdings länger geplant, als dass ein Bau Bestand hat. Die Langlebigkeit und Nachhaltigkeit von Architektur liegt derzeit bei etwa 30 Jahren ...

Lehrmann: Das kann es geben. Das ist auch wieder ein Wunsch der Bauherren. Es geht um die schnelle Rendite. Wenn die erreicht ist, ist es nicht mehr so wichtig, dass man ein bleibendes Zeugnis erhält. Das ist eine ganz andere Haltung als bei klassischen Rathäusern oder Handwerkerhäusern an den Marktplätzen, wo man ein dauerhaftes Gebäude wollte. Da hat sich eine Menge verändert. Die Wirtschaftlichkeit des Gebäudes wird in der Tat gern auf 30 Jahre bezogen. Gute Bauwerke sind aber funktional so angelegt, dass sie sich verändern können. Das Gebäude stirbt, wenn die Technik abgeschrieben ist. Aber der Rohbau bleibt. Dann ist es auch ein Beispiel von Langlebigkeit. Daher ist der Umbau so wichtig.

Architekten leiden im Augenblick an der Preisexplosion im Bauen, an der sie nicht schuld sind. Oder?

Lehrmann: Insbesondere zwei Dinge führen gegenwärtig zu den erhöhten Kosten. Das eine sind die steigenden Bodenpreise, das andere ist die konjunkturelle Situation, die dazu führt, dass Handwerker hohe Preise fordern, die sie auch am Markt durchsetzen können. Das ist Marktwirtschaft pur. Leider scheint die Bundesregierung es im Moment zu versäumen, mit einer echten Reform der Grundsteuer positiven Einfluss zu nehmen. Man hätte die Reform nutzen können, um die Spekulation mit unbebauten Grundstücken in den Innenstädten einzudämmen, indem das langjährige Zurückhalten von Grundstücken durch eine höhere Besteuerung unattraktiv würde.

Ist dieses Bunkern von Grundstücken in Düsseldorf so gravierend?

Lehrmann: Es werden mehrfach Grundstücke verkauft, ohne dass eine einzige Wohnung entsteht. Die Gerresheimer Glashütte ist ein Beispiel. Vor sechs, sieben Jahren haben wir schon die Planung zum Bauen von Wohnungen kennenlernen dürfen. Seitdem hat das Grundstück schon mehrfach seinen Besitzer gewechselt, und vermutlich hat jeder Käufer beim Wiederverkauf damit Gewinn gemacht.

Werden wir hier nur noch die Reichen haben?

Lehrmann: Der mietpreisgünstige Wohnungsbau ist extrem wichtig für den Zusammenhalt einer Stadtgesellschaft. In intakten Wohnungsmärkten entstehen im Laufe der Jahre immer wieder Stadtteile, die an Beliebtheit verlieren und dann erneuert werden müssen. Dieser Prozess ist in Düsseldorf abgeschlossen. Hier sind alle Stadtteile relativ hochwertig. Dadurch dreht sich die Preisspirale immer weiter nach oben. Zur Entlastung der Wohnungsmärkte gibt es keinen ausreichenden Bestand an geförderten Wohnungen mehr, weil sie sukzessive aus der Mietpreisbindung fallen, ohne dass ausreichend neu gebaut würde.

Wo liegt das Problem?

Lehrmann: Zum einen haben wir durch den Verlust an mietpreisgünstigem Wohnraum ein Diffundieren von Mittelschicht an die Stadtränder oder noch weiter in benachbarte Gemeinden. Von Düsseldorf aus muss man schon sehr weit ziehen. Und es gibt einen Zuzug von wohlhabenden Menschen in die Stadt. Das sind entweder die Rentner, die mit ihren guten Renten zurückkommen, oder es sind die DINKS (Double-Income-No-Kids). Was aber auch zuzieht, sind die ganz Armen, deren Kosten ihrer Unterkunft von der Kommune bezahlt werden. Wir haben also einen Verlust der Mitte. Es sind Menschen, die gerade wohlhabend genug sind, um sich auszusuchen, wo sie wohnen wollen. Und die ganz Reichen und die ganz Armen ziehen ein. Dadurch haben wir eine unglückliche Entwicklung in unseren Städten. Keine Mischung. Die Mitte löst sich auf.

Wie sehen Sie Düsseldorf als Stadt der Zukunft?

Lehrmann: Düsseldorf hat hervorragende Voraussetzungen, um sich im Wettbewerb der Städte zu behaupten. Es ist eine attraktive Stadt ist mit einer unglaublichen Qualität bis zum Rhein. Die Rheinuferpromenade ist das Beste an Stadtplanung aus den 80er und 90er Jahren, sie wurde als die Markenbildung bis zum Hafen verstanden. Das ist wichtig, wenn man im internationalen Konzert der Städte wettbewerbsfähig sein will. Da muss man Bilder bieten. Die Oper von Sydney ist zur Ikone eines ganzen Kontinents geworden.

Die starken Bilder in Düsseldorf?

Lehrmann: Sind das Dreischeibenhaus, die Rheinuferpromenade und heute auch die Gehry-Gebäude. Das sind Bilder, die auf jeder Postkarte vorkommen. Wir haben ja als Landeshauptstadt nicht unbedingt die besten Voraussetzungen. Wir sind relativ klein als Stadt mit etwa 640 000 Einwohnern. Düsseldorf hat beste Grundlagen, um als Stadt auch in der Zukunft national und international wahrnehmbar zu sein, wenn es seine Aufgaben erfüllt.

Nämlich?

Lehrmann: Dazu gehören der Wohnungsbau, die Fragen der Mobilität und die großen Stadtentwicklungsmaßnahmen, die jetzt fortgeführt werden müssen: Die Verlängerung der Rheinuferpromenade, eine große Diskussion um die Zukunft unserer Oper, und dass der Wohnungsbau in Düsseldorf wieder eine wichtige Rolle spielt. Ich habe jedoch die Hoffnung, dass die neue Stadtbaudezernentin genau weiß, wie das Geschäft funktioniert.

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