Wagenbauer Jacques Tilly trifft den Nerv

Der Künstler hat sich von den Angstmachern nicht einschüchtern lassen. IS-Terror, Charlie Hebdo und Flüchtlinge waren Thema im Zug.

Düsseldorf. Ein geköpfter Karikaturist flüchtet vor einem IS-Kämpfer, das Satiremagazin „Charlie Hebdos hält er in der Hand — Ansage: „Satire lässt sich nicht töten“. Das Bewahren der Meinungsfreiheit ist eines der Lieblingsthemen von Wagenbauer Jacques Tilly, und deswegen hat nicht wirklich jemand daran gezweifelt, dass er das Thema im Rosenmontagszug aufgreifen würde.

Das war auch der letzte Wagen, an dem Tilly und seine Helfer noch gearbeitet haben: „Ich habe nachts mit einem Fön die Schrift getrocknet und gegen zwei Uhr die schwarze Abdeckung darüber gezogen.“ Das sei aus Sicherheitserwägungen geschehen: „Wir wollten nicht riskieren, dass unser Umzug auch abgesagt wird, wie es in Braunschweig war.“

Wagenbauer Jacques Tilly trifft den Nerv
Foto: Young (2)/Lepke

Dabei war Charlie Hebdo am Rosenmontag nur einer von vielen starken Wagen, die es in Düsseldorf zu sehen gab. Der künstlerisch bemerkenswert umgesetzte Querschnitt des weltpolitischen Geschehens führte etwa zum Schicksal von ertrinkenden Flüchtlingen: „Flüchtlingsgrab Mittelmeer: Das ist der wahre Untergang des Abendlandes“ lautet der präzise Kommentar der Wagenbauer zu dem Drama.

Viel Applaus gab es für den Wagen der drei Mullahs, die gemäß dem Motto der drei Affen — „Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen“ — jede Verantwortung von Scharfmacherei von sich weisen: „Terror hat nichts mit Religion zu tun“.

Zweimal hingucken musste man bei dem Wagen, der sich die katholische Kirche vorknöpfte. Papst Franziskus kam mit einem subtilen Seitenhieb für sein „Prügel-Zitat“ davon, der Vatikan bezog dafür Haue auf den bloßen Hintern: „Schlagen, aber mit Würde“.

Düsseldorfs Stadtdirektor Manfred Abrahams brachte es nach dem Zug auf den Punkt: „Der Zoch ist politisch wirklich voll auf der Höhe der weltweiten Nachrichtenlage.“ Nicht wahnsinnig provokativ, aber dafür einfach plakativ und gewitzt umgesetzt etwa das alles überwachende Auge von Google und Facebook oder die Putin-Figur mit zwei Armen: einer mit der Aufschrift „Militär“ platzt fast vor Muskeln, der mit „Wirtschaft“ ist spindeldürr. Gespenstisch das Armdrücken der Schreckensskelette im „Terror-Wettkampf“ zwischen IS und Al Qaida. Kräftig verunstaltet haben die Wagenbauer Kanzlerin Angela Merkel. Sie bietet als einäugiger Zyklop dem frechen Grieche Alexis Tsipras die Stirn, der mit einer Zwille auf sie zielt.

Im Vergleich dazu sind die Wagen mit Düsseldorfer Lokalkolorit stets weniger aufregend und gefälliger. Diesmal kam hinzu, dass es lokal kein echtes Aufregethema gibt. Trotzdem sah man auch in dieser „Sparte“ viel Gelungenes. Die Heine-Universität stellte ihr 50-jähriges Bestehen mit einem Zitat ihres Namensgebers heraus: „Weise erdenken neue Gedanken und Narren verbreiten sie“; das Carnevals Comitee (CC) rief die ganz große Gemeinschaft von Christen, Muslimen, Juden und Atheisten aus; OB Thomas Geisel schaute in eine gähnend leere Stadtkasse.

Einige Gesellschaften widmeten sich natürlich dem Pfingstorkan „Ela“, stark repräsentiert war auch die Fortuna: Das F 95-Logo prangte beileibe nicht nur auf dem eigenen Wagen des Zweitligisten. Warum aber die Radschläger Trainer Oli Reck, der ja so ganz viel mit der Fortuna noch nicht erreicht hat, mit einem eigenen Wagen adelten, wissen sie wohl nur selbst.

Da träumten andere Vereine netter: Die „närrischen Schmetterlinge“ blickten zum Beispiel in den Narrenhimmel und fanden dort die Ex-CC-Größen Günter Pagalies (feiernd) und den sparsamen Jürgen Rieck. Die „Elf vom Dörp“ träumte von einem von Christo verpackten Kö-Bogen, die „Originale“ von einem baustellenfreien Düsseldorf.

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