Vorsichtig mit Vorverurteilungen

Der Fall wird von Ermittlern geklärt, nicht am Stammtisch

Wenn man als Journalist über Kriminalität in dieser Stadt berichtet, spricht man dieser Tage viel über die Kantholz-Attacke von Unterrath — mit Ermittlern, aber auch Unbeteiligten. Das Schwierige: Während dieser Fall für die Ermittler ein sehr komplizierter, pikanter, zweischneidiger ist, erscheint er für viele Laien absolut klar zu sein — selbst wenn der 44-Jährige mit einem Gürtel zugeschlagen hat, verdient er dafür nicht den Tod; die Täter gehören bestraft.

Deutschland hat viel gesehen in den vergangenen Jahren, das merkt man. Menschen, die zivilcouragiert gegen ein Unrecht einschreiten und von jungen Menschen sinnlos ins Koma oder ins Grab geprügelt werden. Aber das darf doch nicht dazu führen, dass wir jetzt bei den Signalwörtern „Gruppe junger Männer“ sofort an marodierende Banden und dann an Einzelzelle denken.

Selbst wenn es wirklich Notwehr war, kann man dem Jugendlichen vielleicht moralische Verfehlungen vorwerfen: Warum läuft er nicht vor einem betrunkenen Mann weg, statt zuzuschlagen? Andererseits: Wer will beschwören, dass er nicht selbst in Panik moralisch verfehlt handeln könnte? Und es ist auch unerheblich. Denn hier geht es nicht um Ethik, sondern um Gesetze. Und ob diese verletzt wurden, dass wird doch bitte von den Ermittlern geklärt, die alle Spuren kennen — und die Beteiligten persönlich befragt haben. Nicht in Wohnzimmern und an Stammtischen. Mit Vorverurteilungen muss man sehr vorsichtig sein. Denn auch sie können Leben zerstören.

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