Düsseldorf Unterwegs: Charme des Unfertigen in der neuen U-Bahn

Die Wehrhahnlinie in Düsseldorf ist Fotomotiv und Grund für Freude und Stolz. Ein Stimmungsbericht aus Düsseldorf.

Düsseldorf: Unterwegs: Charme des Unfertigen in der neuen U-Bahn
Foto: dpa

Düsseldorf. Kameras und Blitzlichtgewitter. Die U-Bahnhöfe der neuen Wehrhahnlinie sind vielleicht die meistfotografierten Orte in Düsseldorf derzeit. In jeder der neu geschaffenen Haltestellen sind Kameras allgegenwärtig. Die Blicke der Fahrgäste schweifen noch neugierig umher, während sie in anderen Linien schon lange ins Smartphone oder in ein Buch vertieft wären. Viele Gäste reden über die neuen Linien und die Bahnhöfe. Eine neue U-Bahn ist etwas Besonderes.

Die Wehrhahnlinie ist ein Düsseldorfer Großprojekt, das über 15 Jahre in der Entwicklung war. 2007 wurde es mit dem ersten Spatenstich begonnen. Am vergangenen Wochenende konnten die Linien in Betrieb genommen werden. In der Zwischenzeit wurden 22 000 Tonnen Stahl und 240 000 Kubikmeter Beton verbaut. 843,6 Millionen Euro haben Bund, Land und Stadt investiert. Drei Millionen davon für Kunst. Und die zieht die Menschen jetzt an.

Petra Knyrim (47) ist ganz begeistert. Gemeinsam mit ihrem Patenkind Hugo (10) hat sie sich auf den Weg durch die neuen Haltestellen gemacht. „Wir sind die größten Fans der Station Benrather Straße“, sagt Knyrim, während Hugo sich den vorbeifliegenden Mars auf den Bildschirmen anguckt. Die Station hat etwas Raumschiffartiges. Auf den Bildschirmen werden Sterne gezeigt, als würde man im All fliegen.

Die silbernen Wände haben Noppen, die an Brailleschrift erinnern. „Oder eher an den Film Matrix“, meint Knyrim. So oder so, die begeisterte Frau ist Fan: „Es ist ganz großartig, was Düsseldorf hier geleistet und uns geschenkt hat.“

Aber Düsseldorf schenkt nicht nur, Düsseldorf nimmt auch. Denn durch die neuen unterirdischen Linien verschwinden einige oberirdische. So ersetzt die Linie U71 die alte 701, die U72 die 712 und die U73 die 703. An den alten Straßenbahnstationen — etwa an der Heinrich-Heine-Allee — läuft unentwegt ein Schriftband, auf dem vorher die nächsten Bahnen angekündigt wurden: „Hier fahren keine Straßenbahnlinien mehr.“

Unten, wo die neuen Linien fahren, gibt es vielfach noch keine Digitalanzeigen. Über den Rolltreppen zu der Station Benrather Straße oder der an der Pempelforter Straße hängen Pappschilder und daneben Kabel. An den Wänden fehlen teils noch beleuchtete Wegbeschreibungen und Notausgangsschilder. Die kleben dafür an den Wänden. Teilweise fehlen Deckenplatten, so dass der Blick auf Stahl und Beton freigelegt ist. Bei aller Kunst und Liebe zum Detail, die Stationen strahlen noch den Charme des Unfertigen aus.

„Die Stationen sind wie Düsseldorf: Gar nicht so High Class wie man meint“, sagt Marcel Dorfmüller. Der 20-Jährige mit Oberlippenbart und Wollmütze posiert für einen Fotografen in der Station Pempelforter Straße zwischen den schwarz-weißen Mustern an Boden und Decke. Der fotografiert die Schuhe an Dorfmüllers Füßen für einen Sneaker-Laden. Der Fotograf Sebastian Morgner (34) findet die Stationen „super“ für die Sneaker-Fotografie. Aber auch so mag er die neuen Haltestellen. „Ich finde es super, dass die noch Geld für die Kunst draufgelegt haben. Genau so hab’ ich’s mir erhofft.“ Und vor allem käme er jetzt viel schneller nach Bilk: „In nur neun Minuten statt in einer halben Stunde.“

Die neuen Linien fahren direkt durch die Innenstadt. Die einzelnen Stationen sind so nah beieinander, dass man sie durch die Tunnel sehen kann. „Verkehrlich ist das trotzdem sinnvoll“, findet Philipp Kaiser (24). Der Student lässt sich von Aurel Gröne (23), einem ehemaligen Mitglied des Jugendrats Düsseldorf, durch die Stationen führen. Gröne, der seit zwei Jahren in Berlin wohnt, zeige seinen Freunden die Stationen zwar mit Stolz — „ich habe die Entwicklung jahrelang im Verkehrssauschuss begleitet“ — aber er kritisiert die Bahn trotzdem. Der Nutzen sei fraglich. „Die U-Bahn erschließt nichts Neues.“

Das sehen andere weniger kritisch. Thomas Diessel (53) ist eigens aus der Nähe von München angereist, um die ersten Tage der Wehrhahnlinie zu begleiten. Der gebürtige Düsseldorfer ist seit seiner Kindheit ein Straßenbahnfan. Seit seiner Schulzeit habe er die Pläne um die Wehrhahnlinie verfolgt. Diessel war bei der Eröffnung, jetzt begutachtet er die Bahnhöfe. Die Linien findet er sinnvoll, klar, aber die Kunst sei nicht so seins. „Wie soll man eine Videoinstallation wie an der Schadowstraße 30 Jahre lang pflegen?“ Fotos macht er trotzdem.

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