Unser Autor hat tatsächlich eine Stelle in Düsseldorf entdeckt, die nicht schön, sondern hässlich ist
Düsseldorf. Ich träumte kürzlich, dass ich Besuch hätte und dass just dieser Besuch wissen wollte, ob es denn in diesem wunderschönen Düsseldorf auch hässliche Orte gebe. Ich sagte „Nein“, denn ich wusste keine andere Antwort.
Auch nach dem Aufwachen war ich nicht schlauer. Mir wollte einfach kein Ort in Düsseldorf einfallen, dem ich keine Schönheit attestieren würde. Es geht ja bekanntermaßen nicht nur um die äußere Schönheit, es gibt ja auch noch diese inneren Werte oder die Geschichte eines Ortes. Kurzum: Ich wollte mir keinen Ort in meiner Heimatstadt vorstellen, dem ich nicht mindestens ein Mindestmaß an Schönheit zusprechen würde. Kein Zweifel erlaubt.
Das änderte sich, als ich kürzlich in die Toulouser Schlucht geriet. Die sucht man auf dem Stadtplan vergeblich, was daran liegt, dass ich diesen Namen gerade erfunden habe. Er bezeichnet jenes Areal, das begrenzt wird von den Neubauten an der Toulouser Allee im Osten und der Schinkelstraße im Westen. Im Norden die Zoobrücke, im Süden das „Olio“. Ich geriet in die Toulouser Schlucht eher zufällig. Ich hatte Zeit, radelte gedankenverloren durch Derendorf, bog mal hier ab, mal dort. Und auf einmal geriet ich in die Toulouser Schlucht. Ich stand vor einer riesigen Wand aus eckig gewordenem Beton, der mir den Blick auf die Bahngleise versperrte. Ich stellte mir mehrere Fragen. Hat hier jemand beim Tetris versagt? Oder steckt hinter dem, was wie das Ergebnis eines misslungen Klötzchenstapelspiels aussieht, ein geheimer Plan, der sich mir nicht offenbaren will? Ein großes Klötzchen, dann zwei kleine, dann wieder ein großes und noch zwei kleine und…
Oder wollte hier jemand New York nachbauen und ihm ist mitten im Spiel die Lust vergangen? Ich fühlte mich von dieser architektonischen Tristesse förmlich in meiner psychischen und physischen Integrität angegriffen. Vieles an mir ist rund, manches schon zu rund. Aber in der Toulouser Schlucht ist alles eckig, so eckig, dass man manchmal schon die Ellenbogen einziehen möchte, weil sich die omnipräsenten Kanten ziemlich heftig aufdrängen. Es ist sehr leicht, sich hier verloren zu fühlen. Alles so groß, vieles zu groß.
Aber hier leben Menschen. Menschen, die sich entschieden haben, in den großen Klötzen zu wohnen und sie, nun ja, bewohnbar zu finden. Am besten schön weit oben. Muss ein toller Fernblick sein im 15. Stock. Etwas tiefer dürfte die Faszination schon geringer ausfallen, weil man da nur noch auf die Klötze gegenüber schaut. Die sind auch eckig, wirken aber lange nicht so angeberisch wie die Betonkollegen auf der östlichen Seite der Schlucht. Von zwei Seiten kann man sprechen, weil dazwischen etwas verläuft, was mit Grünstreifen wohl angemessen beschrieben ist. Ein bisschen Rasen und ein paar Mickergewächse stehen herum und wirken mehr wie gehobene Unkrautkultur denn wie Park.
Dazwischen vereinsamte Jogger und Hunde auf der Suche nach einer Chance, das Beinchen zu heben. Was schwer ist, denn die paar sinnlos in der Gegend herumvegetierenden Bäume sind so klein, dass sie wohl nicht einmal die Chance hätten, von der Baumschutzgruppe adoptiert zu werden, sollte Ed Sheeran auf die Idee kommen, hier konzertieren zu wollen. Das Beste an dieser zwischen die Fronten geratenen Bauwüste sind noch die Kinder, die sich auf den zahlreichen Spielgeräten austoben. Die schreien und brüllen, wie das Kinder eben tun, und ihre Schreie spielen als entfesselter Schall Ping-Pong zwischen den Türmen, vereinigen sich im Aufwind zu jener juvenilen Kakophonie, die das Lied der Zukunft singt.