Tuner im Hafen: Ein Abend mit Pizza und Pferdestärken

Die Tuner im Hafen wehren sich gegen den Eindruck, sie seien alle Rowdys. Es geht ihnen um Gemeinsam- und Gemütlichkeit.

Düsseldorf. Es ist kurz vor halb acht, als sie hintereinander durch den Hafen rollen: ein schneeweißer Audi A6, ein babyblauer Abarth mit dem Schriftzug „Polizia“ überall, ein silberner Mercedes mit neonfarbenen Felgen, ein Golf 5 in mattem Lila mit quietschrosa Felgen . . . Die Freunde von der D-Society haben sich wie an fast jedem Freitag bei McDonalds an der Völklinger Straße getroffen. Jetzt fahren sie in Kolonne zu ihrem Treffpunkt, einem Werksgelände im Hafen. Auf jedem Auto prangt ein Aufkleber mit einem Stern in der Mitte. „I’m Tuner 2.0“ steht darauf. Das sind sie alle: Tuner. Sie lieben ihre Autos — und sie lieben es, ihre Autos aufzumotzen. Aber: Sie wollen nicht als Verkehrsrowdys gelten.

Seit dem Sommer laufen die Treffen auf dem Gelände nahe dem Strand nahe der Lausward. Die Öffentlichkeit wurde darauf erst aufmerksam, als die Polizei Ende August bei einer Großkontrolle 31 Fahrzeuge überprüfte und sechs von ihnen vorübergehend sicherstellte — wegen des Verdachts auf unzulässige Umbauten. Der Einsatz galt der „Racing-Szene“, die sich im Hafen treffe, um Gas zu geben, hieß es im Anschluss beim Präsidium.

Gegen diese Darstellung läuft seither die Szene in sozialen Netzwerken Sturm. David Schmidt (28) und Thorsten Jansen (26) von der D-Society, die die Hafen-Treffen ins Leben gerufen haben, gründeten die Initiative „I’m Tuner 2.0“ und verkaufen für einen guten Zweck die Auto-Aufkleber. Auf ihrer Facebook-Seite schreiben sie über ihre Beweggründe: „Wir haben keine Lust mehr, von der Gesellschaft in eine Schublade gesteckt werden. Wir müssen aktiv werden und zeigen, wer wir wirklich sind.“ An diesem Abend zeigen sie es unserer Zeitung.

Mit Andrea geht es hinter David im A6 und Thorsten im Polizia-Abarth in den Hafen. Gerade erst hat die 22-Jährige, die eine Ausbildung zur Kfz-Mechatronikerin macht, sich ihre C-Klasse, ein 203er Coupé, zugelegt. „Er ist noch nicht so schön, wie ich ihn mir vorstelle“, sagt sie mit gerümpfter Nase. Die neonfarbenen Felgen und ihre Affenaufkleber überall sollen nur der Anfang sein. Vor allem eine neue Farbe braucht ihr Schätzchen noch.

Andreas Vater hat eine Autowerkstatt. „Autos waren also immer ein Thema“, erklärt die junge Frau. Für ihr Taschengeld habe sie zuerst die Werkstatt gefegt, irgendwann dann Reifen gewechselt, erzählt sie, während sie mit knapp über 30 km/h über den geflickten Asphalt schleicht. „Wenn ich mit dem Auto aufsetze, dann weine ich“, nörgelt sie mit verzogenem Gesicht. Hier ein Rennen fahren? Im Leben nicht, sagt sie. Mit tiefergelegten Autos ginge das auf dieser Buckelpiste überhaupt nicht. „Außerdem haben die meisten von uns total schwache Motoren.“

Auf dem Werksgelände wartet schon Marc auf Andrea — in einer orangefarbenen Weste steht er da und weist die Autos ein, damit Ordnung herrscht. „Macht die Reihen voll!“, ruft er. Mit Campingstühlen haben es sich schon die ersten Tuner unter einem Vordach bequem gemacht. Es werden Energy-Drinks und Kekse gereicht. Ein dunkelblauer Kombi fährt eine Runde über den Platz. Zwei Männer schauen skeptisch aus den Fenstern. „Da sind ja schon die Zivilpolizisten“, sagt Thorsten.

Das kennen die Freunde. „Die Präsenz der Polizei hat uns nie gestört“, sagt David. „Im Gegenteil. Es hält ja auch die Leute ab, die nur posen wollen.“ Die träfen sich vor allem am Südring. „Da ist viel: Motorhaube auf und zeigen, was man hat“, erklärt Thorsten. Seine D-Society-Kumpels könnten da kaum mithalten. Einer der protzigsten Wagen ist Davids Audi, der dank weißer Folie auffällt — aber Baujahr 1998 ist und über 250 000 Kilometer auf dem Buckel hat. Der Auffälligste ist Chris’ mattlila Golf 5 mit den rosa Felgen auf. „Ich bin gerade noch in der Waschanlage gefragt worden, ob es der Wagen meiner Freundin ist“, lacht der Tuner. Ihm egal. Er findet’s halt schick.

Als es dunkel wird, man rechts die erleuchteten Hotels des Medienhafens sieht und schräg links die blauen Lichter des Fernsehturms, röhrt dann doch auch mal ein roter Sportwagen mit gigantischem Heckspoiler auf den Platz, dann ein weißer Wagen mit Flügeltüren, die nach oben aufschwenken. Aber tatsächlich verschwinden diejenigen, die den Motor gern mal aufheulen lassen, rasch wieder. „Sie bekommen hier gar nicht die Aufmerksamkeit, die sie wollen“, sagt Andrea.

Um halb zehn steht der komplette Platz voll. Ein elegantes Durchstarten mit quietschenden Reifen oder eine Wende mit driftendem Heck ist hier nicht drin. „Aber wir haben natürlich kein Schild draußen hängen: Nur die Guten kommen rein“, gibt David zu, dass er nicht für das Benehmen aller Tuner seine Hand ins Feuer legen würde — immerhin kamen an den Spitzenabenden im Hochsommer rund 80 Autos zum freitäglichen Treffen. Aber man wolle verhindern, dass das Wort Tuner zu einem fiesen Klischee werde.

Wie aufs Stichwort gesellt sich eine junge Blondine zur Gruppe. Ihr VW sieht aus wie jede spießige Familienkutsche. Und tatsächlich ist er das auch. Gerade erst habe sie ihren strassübersäten Tuning-Wagen verkauft — weil der Dreitürer zu wenig Platz für den kleinen Sohn und Kinderwagen bot. Jetzt fängt sie von vorne an — mit dem Aufrüschen des Familienautos und bei ihren Diskussionen mit dem Kleinen, dass Schoki auf den Sitzen und die Tuning-Leidenschaft seiner Mami nun wirklich nicht zusammenpassen. David lacht und fragt, wer Bock hat, Pizza zu bestellen. Während der dunkelblaue Kombi ein weiteres Mal langsam am Gelände vorbeirollt. An diesem Abend wird es keine Großkontrolle geben.

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