Thema Wohnen / Interview: „Feste Grundrisse sind passé, das Speisezimmer Geschichte“

Düsseldorf wächst weiter. Aber gibt es Wohnraum für alle? Wie sieht das Wohnen im Jahr 2020 aus? Ein Interview mit Volker Eichener.

Düsseldorf. Die Stadt Düsseldorf will die 600.000-Einwohner-Marke knacken - zurzeit sind es noch rund 587.000. Doch wenn das Ziel erreicht werden soll, sind laut Stadtentwicklungskonzept 28.000 zusätzliche Wohnungen bis zum Jahr 2020 nötig.

Dafür wären jährlich rund 2.000 neue Einheiten nötig, und das bei begrenzter Fläche in der Stadt. Wir sprachen mit dem Wohnungswissenschaftler Prof. Volker Eichener über diese Pläne - und darüber, wie Wohnen im Jahr 2020 in Düsseldorf aussehen könnte.

Volker Eichener: Das bedeutet eher, dass der Wegzug aus Düsseldorf ins Umland befeuert wird. Düsseldorf hat wie alle prosperierenden Städte einen "Durchlauferhitzer-Effekt", das heißt: 18- bis 25-Jährige ziehen in die Stadt, wohnen preiswert, starten ihre Berufskarriere, gründen eine Familie und ziehen ins Umland, wo es Wohn-Eigentum günstiger gibt.

Die Fortzüge der über 30-Jährigen sind ein typisches Muster, es ist umso stärker ausgeprägt, je knapper das Angebot und je höher die Preise sind. Deswegen muss Düsseldorf kurzfristig sein Wohnangebot steigern.

Eichener: Für die Masse kann das keine Lösung sei. Wohntürme eignen sich aber als Nischenprodukt im oberen Preissegment mit Rheinblick, wie etwa beim Portobello-Hochhaus. Ansonsten produzieren Wohnmaschinen, wie sie Le Corbusier entworfen hat, Anonymität, Unsicherheit, Verwahrlosung und Vandalismus, die soziale Kontrolle funktioniert nicht.

Eichener: Das ist ein intelligenter Ansatz und ein Paradebeispiel für eine urbane Wohnform mit einer hochverdichteten Anlage und gut gestalteten Freiflächen. Durch die hohe Geschossflächenzahl sind die Wohnungen bezahlbar - und durch die Spielbereiche auch für Familien attraktiv.

Auch die Familien leben am liebsten in der City und ziehen nur nach Hilden oder Korschenbroich, weil sie sich dort eher ein Heim leisten können. Dafür werden sie dann bestraft, indem sie zweimal täglich im Stau stehen, wenn sie zur Arbeit in die Großstadt und zurück fahren. Der Anspruch Düsseldorfs muss es sein, familienfreundliches Wohnen in der City zu ermöglichen.

Eichener: Optimal sind Nachbarschaften mit acht Parteien in maximal viergeschossigen Häusern. Dazu gehört ein Terrassen-Management, also jedes Dachgeschoss muss zum Penthouse ausgebaut werden, das geht auch bei Einfamilienhäusern: Durch getrennte Aufgänge schafft man zwei Häuser in einem, d.h. ein Reihenhaus für Familien in den unteren Geschossen und darüber ein Penthouse für Singles oder Kinderlose, so dass sich die Grundstückskostenanteile halbieren.

Eichener: Es gibt punktuell Objekte, etwa Altbauten mit Feuchtigkeit- oder Statik-Problemen, wo die Bausubstanz beschädigt ist und die Grundrisse mit 1,40 Meter breiten Badezimmern nicht mehr akzeptabel und zeitgemäß sind, doch das ist nicht auf bestimmte Viertel beschränkt.

Generell kann man sagen, dass fünf Prozent der Bestände nicht mehr zukunftsfähig sind. Wie geht man damit um? Ein gutes Beispiel ist die Wogedo (Wohnungsgenossenschaft Düsseldorf-Ost), die ich berate.

Sie hat im Januar einen Workshop mit Politik und Ämtern veranstaltet, da ging es ums Thema Abriss/Neubau. Die Wogedo macht sich Gedanken über ihre Bestände und entwickelt Konzepte für einen Ersatz. So sieht moderne Wohnungsplanung aus.

Eichener: Es ist Unsinn, ausgerechnet die teuersten, also Neubau-Wohnungen, zur Versorgung der Einkommensschwächsten einzusetzen. Besser wäre es, den Altbau-Bestand zu nutzen, als ein künstliches Ghetto zu schaffen.

In Düsseldorf wird ja schon mit Belegungsrechten im Bestand gearbeitet. Man kann zum Beispiel auch Vermietern Belegungsrechte abkaufen und eine bestimmte Quote einführen, soziale Träger übernehmen dann die Betreuung.

Es gibt gute Chancen in Düsseldorf, solche Modelle einzuführen. Allerdings müssten möglichst viele Vermieter mitmachen, nicht nur die Städtische Wohnungsgesellschaft. Die gesellschaftlichen Kosten für die Betreuung muss die Gesellschaft tragen.

Die "deutsche Standard-Wohnung" (kleine Küche, ein Eltern-, zwei Kinderschlafzimmer) ist tot. Wirklich?

Eichener: Ja, Hauptgrund ist die Pluralisierung der Nachfrage. Die Standardfamilie macht nur noch sieben Prozent aller Haushalte aus. Nachfrager sind Singles, Kinderlose, Alleinerziehende und Familien - und alle brauchen unterschiedliche Grundrisse.

Das Ende der festen Grundrisse im Neubau ist gekommen, wir brauchen flexible Wände, die hin- und hergeschoben werden können, wie man sie gerade braucht. Die Küche wird zum Wohnraum, das Speisezimmer ist Geschichte.

Eichener: Die Veränderung wird ganz unaufgeregt kommen. So wie jetzt schon die meisten Laptops Fingerabdruck-Sensoren und Kameras haben, wird das auch für Häuser und Wohnungen kommen. Das ist nicht mehr High Tech, sondern Low Tech. Bewegungslichtmelder, die eine Glimmlampe anschalten, wenn jemand nachts zur Toilette geht, wird man in zwei Jahren für kleines Geld in jedem Baumarkt kaufen können, das ist ein Plus an Sicherheit.

Per Funk gesteuerte Heizkörper kann man schon jetzt haben, die Ausrüstung kostet heute 600, in ein paar Jahren vielleicht noch 150 Euro. Im Praxistest hat das zu 30 Prozent Einsparung geführt, auch ohne neue Dämmung. Man wird über eine Webcam ins Kinderzimmer schauen, das hätte ich mir auch gewünscht, als meine Kinder klein waren.

Viele Dinge wird man 2020 per Sprachsteuerung in der Wohnung erledigen, man sagt: "Licht an", und das Licht geht an. Wir werden an jeder Stelle technische Gimmicks haben, das Wohnen wird dadurch nicht anders. Also: Wir werden nicht im Raumschiff Enterprise landen, aber viele kleine Helferlein in der Wohnung haben.

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