Theater Theaterchefin füllt bei Aldi Regale auf

Düsseldorf · Christiane Reichert vom Theater an der Luegallee verbreitet Optimismus für ihren geschlossenen Kleinbetrieb.

 Theaterchefin Christiane Reichert hinter der Theke im Theater an der Luegallee.

Theaterchefin Christiane Reichert hinter der Theke im Theater an der Luegallee.

Foto: Helga Meister

Viele Menschen denken, dass das Geld sie wunschlos glücklich mache. Christiane Reichert vom Theater an der Luegallee lebt mit ihrem Team den Gegenentwurf menschlichen Karrierestrebens. Sie ist glücklich, trotz der allgemeinen Gesundheitslage und trotz der Schließung des Spielbetriebs. Dem Theater, den Mitarbeitern, Darstellern, Freunden und Kollegen gehe es gut, erklärt sie, und jobbt derweil bei Aldi.

Ihre Oberkasseler Bühne ist klein, hat ganze 75 Plätze und wird von der Stadt mit rund 40 000 Euro unterstützt. Das reicht zum Decken der Fixkosten. Die laufenden Gehälter werden normalerweise eingespielt, was jetzt unmöglich ist. So beantragte sie beim Bund 9000 Euro als Kleinbetrieb. Das sei möglich, denn jeder Minijob zählt als 0,3 Arbeitnehmer. So komme sie auf vier Angestellte, einschließlich sie selbst. Das reicht in der Spitze dennoch nicht. Außerdem fiel ihr nach der ersten Woche ohne Bühne die Decke auf den Kopf, trotz aller Heimwerker-Leistungen. So suchte sie im Internet nach einem Nebenjob.

„Zwei Arten von Arbeiten werden derzeit gesucht, Erntehelfer und Hilfen in den Supermärkten“, erzählt sie. Die Hilfe bei der Ernte sei für sie nicht in Frage gekommen, weil sie Heuschnupfen habe. So entschied sie sich für den Supermarkt und spazierte vor zwei Wochen in eine Aldi-Filiale in der Innenstadt. Ob man Hilfe brauche, fragte die Theaterchefin den Filialleiter. Sie kam sich nicht zu schade vor, sondern war heilfroh über die Antwort, denn sie erhielt 15 Minuten später einen Vertrag als Regalauffüllerin. Nun freut sie sich riesig, denn der Stundenlohn sei besser als der Lohn, den sie im Theater zahlen könne.

Zwölf Stunden pro Woche ist sie auf diese Weise beschäftigt und verdient sich ihr Zubrot. Sofort wurde sie mit Arbeitshandschuhen ausgestattet. Auf einen Sicherheitsabstand wird streng geachtet. Gesichtsmasken gibt es nicht, die wären auch sehr unangenehm bei der Arbeit, wie sie sagt. Alle Kollegen seien reizend und geduldig, denn nicht immer wisse sie, wohin die Waren gehören. Statt zu klagen, erklärt sie: „Ungewöhnliche Zeiten erfordern ungewöhnliche Maßnahmen. Man darf sich als Theaterleiterin in Krisenzeiten für nichts zu schade sein.“

Sie freut sich geradezu über den Job, wenn sie sagt: „Es ist ein Mehrgewinn für das Theater. Wir leben ja in einer kleinen Blase, wo sich alles nur um uns und unsere Bühne dreht. Nun geht es ins pralle Leben.“ Sie kenne inzwischen die verschiedenen Arten von Menschen, die Stammkunden sind für sie fast schon „alte Bekannte“ geworden. Faszinierend finde sie einen zwölfjährigen Jungen, der regelmäßig mit einer großen Einkaufsliste auftauche, die ihm die Mama geschrieben habe. Er trage einen großen Mundschutz und entschuldige sich, weil er nicht genau weiß, wo die Dinge stehen oder liegen. Dieser Kontakt zu dem Kind sei „berührend“.

Und wie geht es im Theater an der Luegallee weiter? Christiane Reichert ist guter Dinge: „Wir sind nicht unmittelbar in unserer Existenz bedroht. Die ersten 2,5 Monate des Jahres waren sehr ertragreich, so dass wir sicher in den schwarzen Zahlen stehen.“ Mit den Fördermitteln von Stadt, Land und Bund (auch wenn teilweise noch nicht ausgezahlt, aber immerhin schon bewilligt) helfe man dem Betrieb über Wasser.

Die kleine Privatbühne in Oberkassel ist aber auch fest in der Bevölkerung verankert. Christiane Reichert spricht gar von einem „Freundeskreis der Stammgäste“ und freut sich über die „vielen kleinen Gesten der Hilfe“. So bieten Geschäftspartner ein Aussetzen der Zahlungen bis nach der Coronakrise an. Der Vermieter verzichtet von sich aus auf die Hälfte der Mietzahlungen. Und acht Mitarbeiter im Minijob-Bereich, in der Regel Studenten, betonen, dass sie noch anderweitige Einkünfte haben und daher „durchkommen“.

Nur die Akademiestudentin Karoline Schulz ist auf den Verdienst angewiesen und wird weiter beschäftigt. Sie entrümpelt mit der Chefin in deren freier Zeit das Theater und baut neue Ikea-Regale in der Garderobe auf. Es soll alles topfit sein, wenn die Darsteller zurückkehren. So strahlt Reichert Optimismus aus: „Das Theater an der Luegallee wird definitiv überleben. Wir haben schon so viele neue Stücke gelesen, dass es genug Material für die nächsten fünf Spielzeiten gibt.“

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