Temporeiches Psycho-Stück

Gelungene Premiere von „Stützen der Gesellschaft“.

Temporeiches Psycho-Stück
Foto: Sandra Then

Am Ende baumelt er an einer Schiffskette. Hoch über dem Deck und über den Zuschauern hängt er wie ein Verurteilter. Und gesteht seine Fehler ein. Dabei wollte Konsul Karsten Bernick doch einer der Ersten sein, zu den wichtigsten „Stützen der Gesellschaft“ gehören. Doch das gleichnamige Gesellschaftsdrama von Henrik Ibsen, vor 140 Jahren uraufgeführt, mündet in einer Läuterung des Helden.

Auch in der temporeichen Psycho-Inszenierung von Tilmann Köhler im Schauspielhaus: Der Premieren-Jubel im Central galt daher dem jungen Regisseur Köhler und einer Reihe von exzellenten Schauspielern — allen voran dem Hauptdarsteller Christian Erdmann, der sich in knapp zwei Stunden auch körperlich verausgabt.

Anfangs zeichnet Erdmann (bereits als ‚Michael Kohlhaas’ ein beeindruckender Mime) das Porträt eines euphorischen Reedereibesitzers und Konsuls, der kurz vor seinem nächsten großen Deal steht, dem Bau einer Eisenbahnlinie. Dank der Erbschaft seiner Frau Betty (Judith Bohle) konnte er das Unternehmen retten und ausbauen. Und genießt den Ruf als Gesellschafts-Stütze Nummer Eins. Doch sobald er hört, dass seine Schwägerin Lona und der Bruder seiner Frau, Johan, im Anmarsch sind, weicht Bernicks Unternehmergeist und Geschäftigkeit einer Nervosität, die an ihm nagt. Denn Lona (kratzbürstig in Cowboystiefeln: Yohanna Schwertfeger) und Johan (larmoyant: Florian Lange), die 15 Jahre in Amerika waren, hüten das Geheimnis einer früheren Liebhaberin des Konsuls und einer seiner Lügen. Falls diese öffentlich würden, könnten sie den Konsul Kopf und Kragen kosten.

Glänzend arbeitet Erdmann die Wechselbäder der Gemütszustände heraus. Immer aggressiver wird er zu seiner Frau, zu seinem verspielten Sohn Olaf (Steffen Lehmitz), zu Lona und Johan, ebenso zu seinen Angestellten.

Das Regieteam vertraut der Kraft des Ibsen-Textes, ohne zu historisieren, aber ohne aktuelle Bezüge zu heutigen Wirtschaftseliten aufzudrängen. Eine süffige Transen-Parodie auf die bösen Zungen, die es auch unter den Stützen der Gesellschaft geben soll, bieten Frau Rummel (Sebastian Tessenow) und Frau Holdt (Stefan Gorski).

Der Clou dieser zeitlosen Deutung: das Bühnenbild von Karoly Risz. Zig weiße Plastik-stühle umranden zunächst ein mobiles, kreisendes, schwarzes Quadrat, auf dem die Figuren, wie auf einem wankenden Schiffsdeck, nach Halt suchen. Zug um Zug werden die Stühle, auf denen anfangs die Darsteller sitzen, auf das Quadrat gestellt, mal zu einem Turm gestapelt, dann wieder in Reih und Glied geordnet, wie für einer Festsaal-Bestuhlung — ein Fest, bei dem der Konsul seine Pläne vorstellen und gefeiert werden soll.

Doch es kommt anders: Nachdem Lona und Johan drohen, die verhängnisvollen Briefe zu veröffentlichen, fährt das Schiffsdeck hoch. Alle Stühle, auf dem die Stützen der Gesellschaft Platz nehmen sollten, rutschen hinunter. Eine schwarze Wand baut sich auf. Der Konsul hängt wie ein Stück Vieh von der Decke herunter, tritt die Flucht nach vorne an und macht eine für alle Beteiligten überraschende Kehrtwende. Nur sein Spross scheint dem Vater zu misstrauen: Er richtet eine Pistole auf den Vater. Dann Vorhang. Ob er wirklich schießt? Die Frage bleibt offen. Und wird von Premierenbesuchern beim Herausgehen noch diskutiert.

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